Da läuft es mir nun also durch die Ohren. "Front 242 - USA 91", angekündigt als Mitschnitt der "legendären Tyranny - Nordamerika-Tour" der EBM-Veteranen vor 30 Jahren. Zunächst möchte ich darauf eingehen, was denn ein gutes Live-Album ausmacht. Ein solches ist davon gekennzeichnet, dass es perfekt die Stimmung eines Konzertes einfängt und bestmöglich das Erlebnis spürbar macht. Nicht umsonst ist es unglaublich kompliziert ein Live-Album aufzunehmen. Man braucht dutzende Mikros, überall im Saal verteilt, nimmt die Spuren einzeln vom Pult ab und produziert das erhaltene Material im Studio nach. Denn nur so kann man den bestmöglichen Klang erreichen. Wie man so etwas richtig gut macht, haben z.B. Depeche Mode mit "101" eindrucksvoll bewiesen.

Aber, wir sind ja nun bei "USA 91" von Front 242. Laut Ankündigung wurden die Tracks des Albums "remastered aus persönlichen Aufnahmen", gemischt von Thierry Herremans und von Daniel B. höchstselbst gemastert. Ganz offensichtlich stammt das Ausgangsmaterial aus Mitschnitten, die am jeweiligen Abend direkt vom Stereo-Mischpultausgang gemacht wurden. Erkennen kann man das am relativ guten Klang der Backing-Tapes, die ja bei Electro-Bands der Natur gemäß größtenteils vorproduziert sind. Im Gegensatz dazu knallen die am jeweiligen Abend live gespielten Anteile oft derart laut in den vorliegenden Mix, dass es schon arg auffällt. Auch die Gesangsparts klingen aufgrund der doch erheblich schwankenden Qualität nach Mix-Down. In einer professionellen Nachproduktion, auf separaten Spuren, wären sie niemals so durchgegangen. Die Mitschnitte stammen von verschiedenen Konzerten, denn wir befinden uns u.a. in Chicago und Cleveland. Besonders ärgerlich finde ich aber, dass alle Publikumsgeräusche derart weit im Hintergrund sind, dass diese zweifellos nur über das Gesangsmikro auf der Bühne aufgenommen sein können. Aber gerade solche Geräusche machen ja weitestgehend das Live-Feeling aus. Da hätte man wenigstens im Studio ein wenig faken können, das wäre nun wirklich keinem aufgefallen. Die Zusammenstellung des Sets ist ganz nett, klingt aber eben ein wenig wie eine Proben-Aufnahme, was ja dem eigentlichen Anliegen entgegensteht. So richtig Wumms hat kein Titel, da alles zudem noch mit zu vielen Höhen gemischt wurde. Nur, wenn man den EQ auffällig umschraubt drückt es ein wenig. Aber auch dann ist das weit entfernt von Referenzmaterial. Der Pressetext verspricht eine Veröffentlichung, die es ermöglichen soll "wieder in die Atmosphäre und die Einzigartigkeit dieser intensiven Momente einzutauchen". Es mag ja durchaus sein, dass man ein einzigartiges, intensives Gefühl vor 30 Jahren in den Hallen während der Konzerte hatte. Nur leider spürt man die Einzigartigkeit und Intensität zu keiner Sekunde beim Hören der Aufnahme. Diese VÖ kann ich als Zeitdokument empfehlen, wenn man sein Geld in ein relativ gutes Bootleg mit offiziellem Segen investieren möchte. Ein klassisches Live-Album bekommt man hier jedoch nicht. "Front 242 - USA 91" erscheint am 26.03.2021 als 6-Pannel Digipack CD-Version und als Download. Die ersten 1000 CD`s haben ein mit speziellem "Soft-Touch-Lack" bedrucktes Cover. Ob man jetzt aber deswegen ein Exemplar kaufen muss, weiß ich nicht. Ich gehe nicht davon aus, dass es zum begehrten Sammlerstück avanciert.

Tracklist: 01 - D.S.M. Moldavia, 02 - Rythm of Time, 03 - Masterhit, 04 - Soul Manager, 05 - The Untold, 06 - Until Death (us do part), 07 - Im Rhythmus bleiben, 08 - Slo-Mo, 09 . Don`t Crash, 10 - Never Stop, 11 - Headhunter, 12 - Tragedy for you, 13 - Welcome to Paradise, 14 - Punish your Machine / Neurobashing