Es ist eine Zusammenkunft zweier Musiker, deren bisheriges Schaffen für die elektronische Klangerzeugung von großer Bedeutung ist. Flint Glass, ein Projekt des Franzosen Gwenn Trémorin, steht wie kaum ein zweiter für eine hypnotische Mischung aus massiven Rhythmen mit cineastischer Stimmung und gilt mit seinen innovativen Sounddesigns als herausragend. Der Belgier Herman Klapholz alias Ah Cama-Sotz steht dagegen für einen atmosphärisch dichten Dark Ambient mit technoiden Einflüssen. Beide Musiker sind bereits seit den 1990ern aktiv und prägen maßgeblich das Bild der progressiven Computermusik, die sich fernab von gängigen und einschmeichelnden Strukturen bewegt und die Suche nach dem Besonderen zum Ziel hat.

Das Zusammenwerfen dieser beiden hochkreativen künstlerischen Seelen konnte folgerichtig nur eine - mindestens - spannende Platte ergeben. "Wakan Tanka" gelingt es vor allem, beide Projekte in gleich hellem Licht strahlen zu lassen. Man erkennt auf der einen Seite die unaufdringlichen und dennoch präsenten Rhythmen von Flint Glass, während sich in den weiten Flächen und konzisen Sounds eine archaische, naturalistische Welt eröffnet, wie sie für Ah Cama-Sotz so typisch ist.

Beide Musiker teilen die Leidenschaft für die Erkundung der Kultur indigener Völker. Diese Gemeinsamkeit bildet auf "Wakan Tanka" als Grundlage für die musikalischen Exkursionen dieses Duos auf Zeit. Die Reise bleibt dabei nicht auf eine Region verhaftet, sondern zieht sich durch verschiedene Stämme, was die kryptisch anmutenden Titel erahnen lassen. Flint Glass und Ah Cama-Sotz wollen aber keine rituellen Tänze nachahmen, sondern die Kraft der archetypischen Klänge als Matrix für ihre Klanglandschaften nutzen. Am Ende ist nämlich ein Stück wie "munduruku" immer noch im Dark Ambient und Industrial verhaftet, also ein unüberhörbar gegenwärtiges Produkt, auch wenn die gesamte Atmosphäre dieses Tracks durchaus etwas Enigmatisches besitzt und tief ins Unterbewusstsein der Hörerschaft dringt wie die Klänge der Indigenen.

Sprechen wir über die Definition eines Meisterwerks, ist "Wakan Tanka" sicherlich nicht weit davon entfernt, als Paradebeispiel zu dienen. Schließlich hat das temporäre Zweiergespann ihre beiden Talente perfekt miteinander kombiniert und einen wuchtigen und manifesten Sound geschaffen, undurchdringlich wie der Dschungel im Amazonas und rätselhaft wie die Riten der Urvölker. Die Faszination geht von der Nichtgreifbarkeit der Stücke aus. Gleichzeitig jedoch versetzt das Album einen durch die markanten Rhythmen in tranceähnliche Zustände, sodass "Wakan Tanka" sich trotz herausfordernder Sounds eine eigenartige Eingängigkeit bewahrt hat, die aber mit der "catchyness" eines Pop-Songs natürlich nichts mehr gemeinsam hat.

Klapholz und Trémorin befassen sich in ihren Werken seit jeher mit der Frage, wie das Leben nach dem Tod aussieht. Die philosophische Auseinandersetzung mit dieser Frage wird auch auf diesem Longplayer fortgesetzt, indem sie darauf blicken, wie die Urvölker mit diesem Thema umgegangen sind - hauptsächlich wird das Leben als wiederkehrendes Ereignis gesehen, der Tod nicht als endgültig. Die Umsetzung findet natürlich nur auf der Ebene Musik statt, indem zyklisch wiederkehrende Sounds innerhalb der Stücke als tönerne Darstellung von Werden und Vergehen interpretiert werden können.

Flint Glass und Ah Cama-Sotz ist ein Album gelungen, dass die Großartigkeit progressiver Elektroklänge auf den Punkt bringt. Man merkt den zehn Songs an, dass sie kein Produkt einer Bierlaune waren, sondern durch akribische Arbeit entstanden sind, bei dem jeder Special Effect, jede Synthiefläche und jeder Beat genau so gewollt ist. "Wakan Tanka" ist am Ende eine Meditation über das Leben selbst; dieses wird bei den beiden Musikern von allem zivilisatorischen Ballast befreit, sodass man auf sich selbst zurückgeworfen wird. Kaum denkbar, dass es bei dieser einen Zusammenarbeit bleiben wird. Es scheint so, als haben sie gerade erst begonnen, ihre gemeinsame Geschichte zu erzählen.