Im Meer aus schier unzähligen Electroacts stach in den mittleren 00er Jahren das Projekt Flesh Field heraus. Mastermind Ian Ross brachte 2001 mit "Belief Control" und dem drei Jahre später erschienenen Nachfolger "Strain" zwei ausladend grandiose Alben auf den Markt, bei dem sich der Amerikaner mit einer ganz eigenen Mixtur aus episch-klassischen Orchester- sowie Streicherarrangements und dreckigem EBM, der sich in der Nähe zu Leaether Strip und Wumpscut aufhielt, deutlich positionierte und innerhalb kürzester Zeit ein Alleinstellungsmerkmal besaß. In einer Epoche, in der viele harshe Electro-Acts kaum unterscheidbar waren, konnte man einen Song von Flesh Field sofort unter Tausenden heraushören.

So hätte es denn auch nach Meinung vieler ruhig weitergehen können. Leider verstummte Flesh Field aber nach "Strain". Nur vereinzelt waren Samplerbeiträge zu vernehmen; erst 2011 tauchte das Projekt wieder auf - mit einem irritierenden Instrumental-Werk, das Ian als freien Download feilbot. Fast schien es so, dass er mit "Tyranny Of The Majority", so der Titel dieses Albums, selber nicht sehr zufrieden war, handelte es sich bei einem Großteil der Songs um unfertige Demo-Versionen. Flesh Field schien klinisch tot. 

Umso erstaunlicher, dass der Musiker anno 2023, also nach über 20 Jahren Funkstille und quasi wie aus dem Nichts  heraus, ein neues Album ankündigte. Das Beste daran: "Voice Of The Echo Chamber" tut so, als habe es diese lange musikalische Sendepause gar nicht gegeben und knüpft stilistisch dort an, wo "Strain" aufgehört hat. Heiser-bedrohlicher Gesang trifft auf bisweilen archaische Drums, soundtrackartige Geigenklänge und grummelig vor sich hinblubbernde Sequenzen. Kurzum: Es war ein gelungenes Comeback, das jeden Flesh-Field-Fan sicherlich die Freudentränen in die Augen schießen ließ.

Anscheinend war Ross in der ganzen Zeit der Stille nicht untätig, denn nach "Voice Of The Echo Chamber" folgt nun mit "Voice Of Reason" ein ordentlicher Nachschlag in Form einer EP, die aber in ihrem Ausmaß manchen Longplayer locker links liegen lässt. Insgesamt zwölf Songs bietet die Scheibe, davon sind sieben noch nicht veröffentlicht worden. Die Befürchtungen, dass es sich bei diesen Stücken um Ausschussware handeln könnte, kann man locker Beiseite wischen. Schon der Opener "Wounds Of War" vereint alle vorzüglichen Tugenden von Flesh Field auf eine Nummer. Auch das später zu hörende "Afraid Of Tomorrow" besticht durch einen fast schon poppigen Anstrich und einer verwaschenen Basslinie, die ohne Umwege die Unterschenkel massiert.

Bei den Remixen haben sich jede Menge berühmte Namen die Klinke in die Hand gedrückt. Leaether Strip nahm sich dem Song "Soldier" an (mit erwartbar gutem Ergebnis), während Ross' Buddy genCAB bei  "Catalyst" sich mit viel Respekt an das Material genähert hat. Die absolut herausragenden Neuabmischungen stammen allerdings von Panic Lift, denen mit einer knurrigen Synthielinie eine ganz eigene und schlüssige Interpretation von "Reset" gelungen ist, und System Syn, die dem fies aus den Boxen stolpernden "Manifesto" mit Electro-Pop und einigen Eurodance-Marotten aus der Mottenkiste eine unerwartete Wendung gegeben haben. Man muss da schon ein kleines bisschen lächeln ob der Unverfrorenheit und Sorglosigkeit beim Umgang mit dem Originalmaterial. Doch gerade diese Neuinterpretation beißt sich im Gehirn fest und ist sicherlich einer der Höhepunkte auf der sonst sowieso nicht ereignisarmen Scheibe.

Bleibt zu hoffen, dass nach dem großartigen Album und der nicht minder gelungenen EP der Name Flesh Field wieder fest im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Schließlich war und ist dieser Act eine Ausnahmeerscheinung.