Wenn man über die Legenden der elektronischen Musik spricht, führt kein Weg an 'Faithless' vorbei. 1995 in London gegründet, haben Rollo, Sister Bliss und Maxi Jazz mit ihrer Mischung aus Trance, House, Dub und Trip-Hop nicht weniger als eine ganze Generation geprägt. Wer in den späten 90ern oder frühen 2000ern in einem Club stand, wird wohl nie vergessen, wie die ersten Takte von 'Insomnia' den Raum füllten. Über 20 Millionen verkaufte Alben, 17 Top-40-Singles, sechs Top-10-Alben (davon drei auf Platz eins!) und über eine Milliarde Streams sprechen eine ziemlich klare Sprache: 'Faithless' sind keine Fußnote, sie sind ein ganzes Kapitel Musikgeschichte. Und sie haben den Beweis geliefert, dass elektronische Musik nicht nur für die Tanzfläche funktioniert, sondern auch poetisch, politisch und zutiefst menschlich sein kann.
Jetzt also Champion Sound. Fünf Jahre nach dem letzten Studioalbum 'All Blessed' meldet sich die Band zurück – und zwar lauter, vielseitiger und zugleich reflektierter als je zuvor. Dass dies das erste Album ohne Maxi Jazz ist, schmerzt natürlich. Sein Tod im Dezember 2022 war nicht nur ein persönlicher Verlust für die Band, sondern auch für Millionen Fans weltweit. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, klingt dieses Album wie eine kraftvolle Antwort: Ein „Wir sind noch da“, das gleichzeitig Abschied und Neuanfang markiert.
Schon die Veröffentlichungspolitik ist typisch 'Faithless': Während andere Bands brav ihr Album auf einen Schlag ins Streaming kippen, haben die Briten 'Champion Sound' in vier Kapitel aufgeteilt. Ein bisschen wie ein Roman in Teilen, der die Hörer zwingt, sich wirklich Zeit zu nehmen – fast schon eine subversive Geste in einer Ära, in der man Songs wegskippt, wenn nach 20 Sekunden kein Drop kommt. Ich persönlich finde das großartig. Endlich mal wieder ein Album, das man nicht „snackt“, sondern bewusst konsumiert.
Musikalisch liefern 'Faithless' die ganze Palette ab: treibende Club-Tracks, sphärische Zwischenstücke, tiefgründige Spoken-Word-Passagen. Besonders eindrücklich ist gleich der Auftakt mit 'Forever Free'. Dort ertönt auch ein kurzer Ausschnitt aus Maxi Jazz’ letzter Session: “Be as completely you as you can be” – eine simple, aber tief bewegende Botschaft, die sich wie ein unsichtbarer roter Faden durch das Album zieht. Für mich war das ein echter Gänsehautmoment, fast so, als hätte Maxi selbst dieses Kapitel noch gesegnet.
Natürlich setzen 'Faithless' auch auf Gaststimmen – und die sind mehr als nur schmückendes Beiwerk. 'Bebe Rexha' bringt mit 'Dollars And Dimes' den nötigen Pop-Glanz, ohne ins Beliebige abzudriften. 'L.S.K.' liefert mit 'In Your Own Groove' eine mitreißende Hymne, die sich sofort in die Beine frisst. Und 'Suli Breaks' sorgt mit 'Peace And Noise' für einen poetischen Höhepunkt, der mich daran erinnert, dass 'Faithless' schon immer mehr als nur Beats waren – sie waren auch eine Botschaft. Besonders spannend finde ich persönlich das Triptychon 'Meeting', 'Driving' und 'Thinking', das fast wie eine kleine Kurzgeschichte funktioniert. Da merkt man: Hier will eine Band nicht nur abliefern, sondern auch erzählen.
Und dann ist da noch 'Book Of Hours' – ein über 24 Minuten langes Stück, das ich beim ersten Hören eigentlich abbrechen wollte, weil ich dachte: „Ach komm, so lang muss doch nicht sein!“ Aber dann… dann bin ich hängen geblieben. Orchestrale Klangflächen, balearische Wärme, irgendwo zwischen Café del Mar und Kinosaal. Ich gebe es zu: Ich war kurz weggetreten, halb hypnotisiert, halb verzückt. Für mich persönlich ist das der heimliche Höhepunkt des Albums. Humorvoll betrachtet könnte man sagen: Champion Sound ist das Gegenteil von dem, was Spotify heute will. Kein Algorithmus hätte dieses Album so geplant. Und genau das macht es so erfrischend. Stattdessen klingt es wie ein wütender, aber zugleich liebevoller Schlag ins Gesicht der Belanglosigkeit – ein Rave mit Haltung, ein Clubabend mit Seele.
Wer sich das Ganze physisch ins Regal stellen will, darf sich freuen: Neben der CD kommt Champion Sound auch als Doppel-LP auf klassischem Black Vinyl sowie in einer schicken Limited Edition auf Hot Pink Vinyl. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber für mich ist schon allein die Vorstellung einer pinken Faithless-Vinyl so herrlich absurd, dass ich die haben muss.
Mein Fazit? Ein ganz starkes Release! 'Faithless' beweisen mit Champion Sound, dass sie auch ohne Maxi Jazz nicht zum Nostalgie-Act verkommen. Im Gegenteil: Sie klingen reifer, wagemutiger und facettenreicher denn je. Klar, wer nur schnelle Club-Banger zum Mitgrölen sucht, könnte die poetischen Passagen als „zu verkopft“ empfinden. Aber für alle, die elektronische Musik lieben, die mehr sein darf als ein Drop nach dem anderen, ist dieses Album ein Fest. Für mich ist es eines der spannendsten Dance-Releases der letzten Jahre – und ein weiteres Beweisstück dafür, dass 'Faithless' auch 30 Jahre nach ihrer Gründung noch immer Champion Sound liefern.
Faithless - Champion Sound

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