In Sachen elektronischer Klangerzeugung brannte sich Belgien als Land der Pioniere relativ schnell ins subkulturelle Bewusstsein ein. Nicht nur als Geburtsstätte des New Beat steht dieses kleine Land fest verankert in den Annalen synthetischer Musik; es brachte auch den EBM dank Front 242 stramm nach vorne. Doch ist diese Band nur die Speerspitze einer bereits Jahre zuvor begonnenden Bewegung, dessen Fundament aus vielen verschiedenen, zum Teil schon wieder vergessenen Klangtüftlern bestand.

Einer von ihnen ist Eric Vandamme aus Mechelen. Vor rund 40 Jahren betrat er als Enzo Kreft die musikalische Bühne und schuf mit "Me Is!" ein typisches DIY-Album, das er mit rudimentären Mitteln aufgenommen hat. Auch wenn der Sound körnig und seine Gesangsspur schlecht aufgenommen war, konnte man schon erkennen, dass Enzo Kreft ein klar umrissenes Bild davon hatte, wie er klingen wollte. Durch klassische Mund-zu-Mund-Propaganda erlangte er überregionale Bekanntheit und wurde auch in der subkulturellen Szene von London weitergereicht. Doch nach dem zweiten Werk "Cicatrice" herrschte plötzlich Funkstille - für eine ganz lange Zeit.

Erst 2011 nahm das Projekt wieder seine musikalischen Aktivitäten auf. Es sollte aber noch weitere fünf Jahre ins Land ziehen, ehe mit "Turning Point" auch das erste neue Album nach 32 Jahren Schweigen erschien. Seitdem zeigt sich Eric aber als zuverlässliche Konstante. Auf "XL" genehmigt sich der Mann ein erstes Resümee seiner jüngsten Vergangenheit und packt die aussagekräftigsten Songs seiner Alben "Turning Point", "Wasteland" (2017), "Control" (2019), "Different World (2021) und dem diesjährig erschienenen "Shelter" auf einem Tonträger zusammen. "XL" steht dabei für die römische Schreibweise für "40". Schade allerdings, dass er aus diesem Anlass nicht auch einige Stücke aus seiner Frühphase für die Zusammenstellung ausgewählt hat.

Nachvollziehbar ist dies aber schon. Obgleich Enzo Kreft weiterhin Homerecording betreibt, heben sich die neuen Stücke deutlich von den Songs aus den 1980ern ab, da die Produktionsqualität heutzutage eine ganz andere ist. Sein Faible für die Sounds und Klänge aus der Pionierzeit des Electropop klingen aber unüberhörbar durch.

Viele Elemente kommen bei Enzo Kreft zusammen. Seine kraftvolle, fordernde Stimme erinnert bisweilen an Frank Tovey alias Fad Gadget, die gleichzeitig warmen und doch unterkühlten Sequenzen aus den höchstwahrscheinlich analogen Synthesizern rücken die Tracks in die Nähe von Gary Numan ("Woke Up This Morning"), John Foxx ("Nature Isn't Bound By Borders") und OMD ("Blood Diamonds"), alle genannten Bands natürlich während ihrer Frühphasen, als der Klang aus der Retorte noch neu und die Faszination dafür riesig war.

Das Best Of ist jedoch nur für all diejenigen spannend, die sich bislang noch nicht mit dem Spätwerk des Musikers auseinandergesetzt haben. Die Stücke sind gut gewählt, weil sie auch die klare Haltung von Enzo Kreft widerspiegeln. "Duck And Cover", das den gleichnamigen amerikanischen Zivilverteidigungsfilm für Kinder von 1951 zitiert, passt Eric dem aktuellen Weltgeschehen an, "Biometrics" behandelt in distanziert kraftwerk'scher Manier den gläsernen Menschen. Der Musiker ist, trotz seiner 62 Jahre, immer noch ein scharfer Beobachter unserer Zeit.

Einziger Schwachpunkt an "XL" ist aber, dass dort lediglich bereits veröffentlichtes Material zusammengefasst wurde. Eingefleischte Fans hätten sich einen kleinen Kaufanreiz gewünscht: unveröffentlichte Versionen oder Songs, Remixe oder Demo-Aufnahmen - es braucht nicht viel, um die Anhängerschaft bei Laune zu halten. All das fehlt aber leider. Das schmälert natürlich nicht die großartige Arbeit von Enzo Kreft, die er seit seinem Neustart verrichtet und hoffentlich  noch lange weiter verrichten wird.