Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht. Und jede Idee braucht einen visionären Vordenker, der sie publik macht und in die Welt hinausträgt. Deshalb fange ich gleich mal damit an und frage die mitlesende Tausendschaft, welches denn der ultimativ nervigste Radiohit aller Zeiten ist? Antworten bitte in den Leserkommentaren – ich persönlich habe meine Wahl bereits getroffen: Bryan Adams mit „Summer of 69“ ist so ziemlich der Bodensatz der tagesbegleitenden Dudelattacken aus dem Rundfunk. Würde man Bryan A. freundlich mitteilen, dass sein bemühtes Rockstar-Krächzen wenig authentisch rüberkäme und ihn bitten, seine durchaus angenehme Naturstimme zur Untermalung der Allerweltsmelodien einzusetzen, wäre seine imaginäre Antwort sicher folgende: „Oh, die Leser des Medienkonverters tragen eine Bitte an mich heran. Nice! Gut, auf dem nächsten Album singe ich mal ohrenverträglicher.“

Das Resultat hören wir nun auf dem 4. Album der schwedischen Synth- / EBM-Band Endless Shame. Das Trio hat auf unerklärlichen Wegen die alternde Rockröhre eingeschleust und lässt ihn unter dem Tarnnamen Mattias Levin die zehn größtenteils tanzbaren Titel der zweiten Veröffentlichung auf dem italienischen Label EK Product trällern. Nun mögen kritische Leser einwenden, dass sie sehr wohl Unterschiede zwischen Bryan und Matthias raushören und der Rezensent keine Ahnung habe. Falsch. Der Rezensent hat nur schlechtere Ohren! Diese reichen jedoch gerade noch so aus, um zu konstatieren, dass die Südschweden auf ihrem aktuellen Album nach dem eher schwächeren Vorgänger „Generation Blind“ die Kurve gekriegt haben und dank treibender Beats, packender Rhythmen und ausdrucksstarken Vocals ein würdiges Sequel zur A Different Drum-Scheibe „Unspoken Words“ produziert haben. Im Gegensatz zur blinden Generation gibt es heuer nämlich wieder fast durchgängig synthetische Popkost zum Naschen, wobei selbst die Ausnahmen wie „Twilight Zone“ und „People Of The Sun“ noch weit entfernt von der Bestätigung gängiger Gitarrenschrammelballaden-Klischees sind. Dort höre ich eher Mesh oder Iris heraus, was durchaus als Kompliment zu verstehen ist.

Die stärksten Momente hat die CD allerdings in der ersten Spielhälfte zu bieten, wenn vom Opener „Freakshow“ bis zu „Lack of Communication“ die straighten Drums das Soundspektrum dominieren und im Refrain clever gesetzte Hooklines die Ohrwürmer finalisieren. In manchen Momenten wird zudem überdeutlich, weshalb „Endless Shame“ Bandmitglied Anders Olsson nebenbei noch ein härteres EBM-Projekt namens „Autodafeh“ am Start hat. Denn klassischen EBM können die Skandinavier immer programmieren, was Titel Nummer 6, „Universe“ beweist. Die Melodie rückt stark in den Hintergrund, der Stilbruch ist unverkennbar und doch rettet der Wechselgesang im Refrain das Lied vor dem endgültigen Abdriften in Richtung der klassischen Electronic-Body-Music. Unter dem Strich ein Album, mit dem Endless Shame zu alter Form zurückfinden und auf das Bryan Adams unglaublich stolz sein kann. Achja, „Raining Men“ von den Weather Girls ist auch ziemlich unprickelnd. Aber diese Grazien haben noch kein Asyl in Schweden gefunden.