Und wieder eine Kritik, bei der ich nicht einfach bei der Musik bleiben kann und möchte. Dieser Tage erscheint das dritte Album eines Duos aus Belarus: Dymna Lotva existieren seit 2015 und bringen vorliegende Scheibe quasi aus dem politischen Exil in Polen in die Welt. Also wagen wir einen Blick in die Hintergründe zu dem mit ‘The Land under the Black Wings: Blood’ zu übersetzenden Werk und schauen dann auf die musikalischen Werte.

Belarus ist unter der Regierung von Alexander Lukaschenko ein Land, das von politischen Repressionen, Angst und Ungleichheit gezeichnet ist. Verbote, das Verschwinden von kritischen Stimmen und Klüngeleien und Bestechung bestimmen das Tagesgeschehen. Und in diese Welt passen neben politischen Akteuren, die für Aufklärung stehen auch Musiker nicht, die eine Änderung wünschen und offen Kritik üben. Bereits Stil und Auftreten der Band sind sicherlich nicht gewollt, ganz bestimmt sind es aber Texte zur Geschichte des Landes und der aktuellen Situation, die immer mit Trauer und Leid verbunden wird, sowie die Zusammenarbeit mit offen kritisch agierenden Künstlern, die das Duo Jaŭhien und Nokt in den Fokus der Regierung brachten. Ihr Weg führte sie deswegen 2020 in die Ukraine – aus heutiger Sicht wissen wir, das dies nicht die Zeit und der Ort für Sicherheit sind und nach den ersten Angriffen durch Russland fanden Dymna Lotva nun eine Zuflucht in Polen. Sie sehen die Veröffentlichung des Werkes als Akt des Widerstandes.

Kann man nach einem solchen Absatz noch wertungsfrei die Musik betrachten? In mir lodert zumindest die Flamme der Anerkennung, denn ich weiß bei allem Freiheitsbestreben, dass ich verspüre, nicht, ob ich diesen Mut aufbringen würde. Jedoch ist meine Aufgabe nicht (ausschließlich), die Band auf ihr Ansinnen zu reduzieren, sondern ich soll auch die Musik beschreiben und die ist, um meinen Gesamteindruck zusammenzufassen, in Ordnung. Dymna Lotva spielen von Folk durchzogenen Metal, der in der Beschreibung als Post Black / Doom Metal beschrieben wird, den ich aber eher dem Dark Metal zugeordnet hätte. Aber lassen wir die Schilder weg: Insgesamt agieren die beiden eher langsam, gemächlich, die Riffs wechseln zwischen schroffer Härte und sanfter Melodik, die mich eher an klassischen Rock denken lassen. Das Drumming und der Bass sind kaum bemerkenswert, wobei schnellere Parts auch fließend eingefügt und wie die langsamen absolut gelungen sind. Flöten, Keyboards und Ausstaffierung sind angenehm unaufgeregter Teil der Musik. Gesanglich gefällt mit das Gehörte insbesondere durch die Abwechslung: Katsiaryna "Nokt Aeon" Mankevich flüstert rauh, keift, schreit, singt und growlt, in keinem Segment ist sie ganz besonders bemerkenswert, aber jeder einzelne Stil klingt ausgesprochen gut. Das hat man selten und das macht mir sehr viel Spaß.

Ich muss gestehen, dass ich mit mehr osteuropäischer Folklore und Melodik gerechnet hatte, nachdem die Presseinfo einen “hörbar[en] belarissuschen Einschlag” versprach. Ja, als Musikkundiger kann man selbst ohne Blick auf die Titel auf eine ungefähre Herkunft schließen, aber andere Vertreter verweilen deutlich mehr im landestypischen Melodiekosmos. Dark Metal ist das Gehörte für mich, weil instrumental häufig eher sanft, klassisch metallisch/rockig und smooth, ein Eindruck der zum Beispiel durch den Einsatz eines Saxophons in “Hell” unterstrichen wird. Mir ist die Musik an vielen Stellen zu unaufgeregt und nett – selbst wenn man sich an Raserei versucht, wird diese doch zumeist zum Beispiel durch ein sanftes Piano begleitet. Gleichzeitig schwingt in allem eine aufgestaute, unbändige Dramatik mit, die wiederum deutlich mit der Herkunft in Verbindung steht. Das Leid wirkt leidvoller, die Verzweiflung noch verzweifelter. Chöre, anhaltende Parts sich immer weiter steigernder Unaushaltbarkeit, sodass es die Musiker zum Höhepunkt zu zerreißen scheint, was sie thematisieren. Das passt in allen Kontexten zum Werk, berührt mich aber musikalisch eher wenig. Kaum eine Melodie berührt mich wirklich, obwohl doch so viel Gewicht hierauf gelegt wird, und die Zeit vergeht, meine Aufmerksamkeit schwindet. Ich höre viele positive Aspekte, zum Beispiel den gelungenen Einsatz von Samples, das komplette Fehlen von Parts, die ich als unnötig erachte und die insgesamt einheitliche, dichte Atmosphäre. Aber hören möchte ich das Album zum Ende dieser Kritik eigentlich nicht mehr.

Da mein Zugang zu Musik nur sehr selten das lyrische Konzept ist, ist es mir gleich, dass ich die Texte nicht verstehe. Ich kann mir aber vorstellen, dass diejenigen, denen Texte am Herzen liegen und die Dymna Lotva verstehen einen anderen Zugang zum Album haben. Mein Erleben ist in den meisten Fällen auf die Musik reduziert und da kann ich persönlich sagen, dass ich nicht abgeholt werde und deswegen nur von sehr gut gemachter Kost sprechen kann. Menschen, die keine Verbindung zum politischen Geschehen in Belarus und den umgebenden Ländern haben und nichts mit Dark Metal anfangen können, müssen hier wohl keine Sichtung planen. Alle anderen jedoch sollten dem Duo etwas Zeit widmen und sehen, ob sie mehr berührt werden, als es bei mir der Fall war.


Dymna Lotva - The Land under the Black Wings: Blood (Зямля Пад Чорнымі Крыламі: Кроў)

04.08.2023 / Prophecy Productions


https://dymnalotva.bandcamp.com/album/the-land-under-the-black-wings-blood


01. Ідзі І Глядзі (Come and see)
02. Пахаваны Жыўцом (Buried alive)
03. Смерць Цалуе Ў Вочы (Death kisses your eyes)
04. Пекла (Hell)
05. Папялішча (Ashes)
06. Яма (The pit)
07. Лютасць (Cruelty)
08. Nachthexen (Night witches)
09. Да Скону (Till the end)
10. Мёртвым Не Баліць (Dead don't hurt)
11. Нязгаснае (Unquenchable)
12. Да Волі (To freedom)
13. Кроў (Blood)