Kennt ihr das, wenn man in der Natur ist, nahe einem Fließgewässer und es einfach nur angenehm ist, dieses Plätschern zu vernehmen? Unaufgeregt berieselt dieser gleichförmige und auch schöne Klang die Sinne, man fühlt sich wohl, auch wenn man das Geräusch nach kurzer Zeit nicht mehr bewusst wahrnimmt. Willkommen beim aktuellen Album von Die Form.

39 verdammt lange Jahre sind ins Land gezogen, in dem das nimmermüde, aber eben zuweilen ermüdend produzierende Paar Philippe Fichot und Éliane P. die elektronische Klanglandschaft bereichert. Die Diskographie des französischen Projektes, das in jeden Fall wie wenige andere Klang und Bild vereinten und dem Fetisch akustisch Raum ließen ist so ausufernd wie auch qualitativ wechselhaft. Eine Entdeckungsreise durch die Jahrzehnte kann sich für alle Freunde elektronischer Musik definitiv lohnen, man muss aber auch Durchhaltevermögen beweisen, denn Licht und Schatten liegen bei Die Form seit je her nahe beieinander. 2017 war ‚Baroque Equinox‘ das letzte reguläre Album und meiner Einschätzung nach an keiner Stelle eine lohnende Erfahrung, selbst wenn es nur um den visuellen Aspekt geht, der doch eine so wichtige Rolle spielt bei Die Form. Es gab sogar zahlreiche Songs, die ich einfach nicht weiterhören mochte. Das ist bei der aktuellen Scheibe ‚Mental Camera‘ nicht der Fall. Die Strukturen sind harmonischer, die Sounds und Produktion weicher, schmeichelnder. Die Vocals sind wie gewohnt aufgeteilt in Élianes hohen Gesang, den man unter hunderten wiedererkennt und Philippes verzerrte Brummelerzählungen. Es ist so sehr Die Form und doch ist das Album etwas Besonderes, denn selten hatte ich das Gefühl, dass quasi nichts passiert, aber mir kommt auch kein reguläres Album bewusst in den Sinn, auf dem ich weniger Ausfälle fand. Die Form haben die perfekte Fahrstuhlmusik für den Fetischclub mit mehreren Etagen geschaffen und ich kann mir vorstellen, dass der Soundtrack auch gut im Hintergrund einer BDSM Fotoausstellung laufen könnte, ohne von den Bildern abzulenken. Das ist insoweit sarkastisch betrachtet von Vorteil, weil nicht ein potenzieller Hit zum Tanzen einlädt – solange es keine Veranstaltungen gibt, möchte ich nun wirklich nichts mehr hören, das mich daran erinnert, wie gerne ich tanze. Danke also für die schöne, aber arg unaufgeregte Berieselung

Ich bin weiterhin ein Freund von Die Form, aber wüsste nicht, mit was ich hier den Kauf begründen sollte. Das großartige ‚Noir magnétique‘ (2009) und das immer noch sehr gute ‚Rayon X‘ (2014) waren die vorerst letzten Alben, die ich Interessierten wirklich ans Herz legen würde. 2021 klickt man nur auf Kaufen, wenn man die unendliche Sammlung komplett halten möchte oder unbedingt dezente und gut gemachte Hintergrundmusik sucht.

 

Die Form

Mental Camera

 

29.01.2021

Trisol / Braintotal

 

http://www.dieform.net/

 

01. Au coeur de la nuit

02. Continuum dream

03. Les roses sanglantes

04. Lilium dolorosa

05. Animal memory

06. Automatique

07. Memory of future

08. Théâtre de la cruauté

09. Materia oscura

10. Les corps purs

11. Insomniac activity

12. Paradis perdus

13. Between two worlds

14. Black nerves (We never die)