Manche Jahre sind unfassbar spannender als andere. 1969 ist so ein Jahr. Das Interesse an Okkultismus, Mystik sowie dem Lesen von Hinweisen auf die Persönlichkeit und das Schicksal aus Karten, die beliebig aus dem Tarot-Deck ausgewählt wurden, florierte und war inzwischen Bestandteil der Popkultur. Das Tarot-Deck von Aleister Crowley kam fünfundzwanzig Jahre nach seiner systematischen Beschreibung endlich auf den Markt. The Devil & The Universe sind darin enthalten, wie auch die Deathcard. Eben jene die Lieutenant Colonel Bill Kilgore nach einem Massaker auf ermordete Vietnamesen verteilt. Und der sagte dabei nicht: Heiliger Piatnik, schau oba!


Willkommen auf der dunklen Seite der Sixties. Die volatil aquarianischen Spätausläufer der Romantik, mit dem Anspruch die Welt zu verändern, wurden blutverschmiert aus ihren den Blumenträumen gerissen. Das Böse ist immer und überall. Anton Szandor La Vey veröffentlichte seine Satanic Bible, die Beatles wollten deine Hand halten, die Rolling Stones wollten deine Stadt niederbrennen. Schallplatten wurden erstmals rückwärts nach Botschaften abgehört und Neil Armstrong steht plötzlich als erster Mensch auf dem Mond. Über all das berichtete auch die Austria Wochenschau, in den Ohne-Pause-Kinos auf dem Wiener Graben und in der Mariahilferstraße. 50 Jahre später verfügt jedoch der Vorsitzende der SPÖ nicht mehr über 1400 Experten, mit denen er neuartige Konzepte für ein modernes Österreich entwerfen könnte. Und weit über die Grenzen der zweiten Republik hinaus herrscht wieder ein repressives Klima. Grund genug für Ashley Dayour, David Pfister und Stefan Elsbacher einen akustischen Rückblick auf ihrem inzwischen fünften Album zu zelebrieren. It's 1969 okay.

Sommersonnenwende und California Dreamin' werfen ein bisher ungewohnt warmes Licht auf's Cover-Artwork der Wiener. Aber keine Angst, Goat Wave steht weiterhin für das geisterhafte Patchwork aus psychedelischer Ekstase, düsteren elektronischen Stimmungsbildern, ambienten Strukturen, Samples, Field recording und vor allem okkulten Drums. Neu hingegen ist neben einer gehörigen instrumentalen Prise Orientalismus, auch eine gewisse Härte, welche auch schon mal ins Metallische abdriftet. Betörend und verstörend zugleich.

Den Auftakt macht „Orange Sunshine“ und meint, trotz hörbar eindringlicher Rotorblätter, nicht den Geruch von Napalm am Morgen. Es ist vielmehr der Anfang vom Ende, bei dem Kriegsgegner und Soldaten in Vietnam auf dem gleichen Trip waren. Das LSD Analog ALD-52 war damals eine legale Droge und nebenbei die erste Charge Acid, die es um die ganze Welt geschafft hat. Von der Hog Farm aus ging es mit den The Grateful Dead auf Tour und deren Freunde die Merry Pranksters schickten es päckchenweise nach Vietnam. Sie wollten damit den Soldaten die Augen öffnen und den Krieg beenden. Apocalypse Now! Zehn Jahre später ist Mickey Hart, Drummer der The Grateful Dead, am Soundtrack des Films beteiligt. Zehn Jahre nach William S. Burroughs Roman 'Naked Lunch' wird intensives experimentieren mit Drogen nicht mehr nur bewusstseinserweiternd zelebriert, sie dienten fortan dem Partyspaß und der Leistungssteigerung.

Ein Umstand den selbst der LSD Guru Timothy Leary so nicht kommen sah, "Turn Off, Tune Out, Drop Dead". Und Zeit die "Dream Machine" anzuwerfen. Die beiden meditativen Instrumentals erinnern hier an Brion Gysin, der diese Ende der Fünfziger entwickelte und postwendend seinen Freund Burroughs beim Schreiben stimulierte und unendlich viele andere Künstler mit ihrem Flickerlicht in Trance versetzte. Genesis P-Orridge bezog sich 1989 explizit auf sie, bei der Entstehung des The Hafler Trio & Thee Temple Ov Psychick Youth Albums. Und auch Felix Flaucher widmete ihr auf dem letzten 18 Summers Album, vor sieben Jahren, einen Song.

1967 waren die Beatles auf dem Höhepunkt, musikalisch haben sie die Rolling Stones in Sachen Innovation und Originalität weit hinter sich gelassen. Beide Bands verkauften den Amerikanern noch immer über allen Maßen erfolgreich deren alten Blues und Rock ’n’ Roll. William S. Burroughs und Aleister Crowley finden den Weg auf das Cover des Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band Albums. Die Rolling Stones verkehren mit dem Okkultisten und Filmemacher Kenneth Anger. Der inspirierte sie u.a. zu 'Sympathy for the Devil'. Doch 1969 glänzten dann beide Bands bei den 3 Days of Peace & Music von Woodstock durch Abwesenheit. Die Merry Pranksters waren da vor Ort, kümmerten sich um Organisation, Drogenberatung und Erste Hilfe. Die Botschaften der Hippiebewegung und der Protest gegen den kapitalistischen Mainstream gingen noch einmal um die ganze Welt.

Ein paar Monate später soll am Altamont Speedway Track ein weiteres Peace & Love Happening stattfinden. Wieder sind die Merry Pranksters und auch The Grateful Dead vor Ort und die Rolling Stones haben das örtliche Chapter der Hell's Angels als Ordner engagiert. Kurz nachdem dort 'Sympathy for the Devil' verklang machte ein junger Afroamerikaner beinahe das wahr wovon Charles Manson schon lange träumte. Meredith Hunter zog im Drogenrausch eine Schusswaffe und zielte auf die Bühne. Daraufhin erstachen ihn die Hell's Angels während der laufenden Show. Massenhysterie, katastrophale Organisation und der Schock über diesen Mord wurden zum Wendepunkt einer gesamten Bewegung. Noch schlimmer als die Gewalt von außen und innen setzten die Drogen den Illusionen von Love & Peace zu. Electro-Industrial-Gewitter machen hier diesen Weg heraus aus einer unter Drogen erschaffenen Traumwelt, zurück in jene Realität von Vietnam-Krieg und Arbeitslosigkeit auch musikalisch in "Altamont Apocalypse" überdeutlich.

Die Rolling Stones sind danach über den von Kenneth Anger praktizierten Satanismus so erschrocken, dass sie vom Teufel und von Anger vorerst nichts mehr wissen wollten. Aber schon eine Woche vor Woodstock hatte Charles Manson dem Sommer der Liebe ein kaltblütiges Ende gesetzt. Wie die Merry Pranksters war er mit seiner sogenannten Family in alten Schulbussen unterwegs. Doch seine waren schwarz angemalt. Auf der "Spahn Ranch" entwickelte er, zwischen alten Kulissen aus den goldenen Zeiten Hollywoods, seine hypnotische Weltsicht aus Drogen und freier Liebe. Das Alles verbrämte er mit Elementen aus Liedtexten der Beatles. Er interpretierte diese jedoch vollkommen falsch und baute darauf seine Theorie einer amerikanischen rassenbezogenen konterkulturellen Revolution auf. Doch als der Rassenkrieg im Sommer 1969 ausbleibt, entscheidet er ihn selbst zu starten. Manson schickt seine Killer aus, um zu zeigen, wie man Weiße tötet. Die Hinrichtungen an der hochschwangeren Schauspielerin Sharon Tate, sowie an dem Supermarktkettenbesitzer Leno LaBianca und dessen Frau Rosemary, wurden mit Zeilen aus 'Helter Skelter' und 'Piggies' blutig untermalt.

Das Böse hatte in der Nacht zum 9. August 1969 ein Gesicht bekommen. Die Beatles gehörten nun der Vergangenheit an, die Rolling Stones wurden wertkonservativ und aggressiver Hard Rock eroberte die Ohren und Herzen der Rebellen. The Stooges lieferten den Abgesang auf "1969". Und Medina Rekic, von der Band 'White Miles', bringt uns fünfzig Jahre später herrlich lauthals die Wut des jungen Iggy Pop mit einem gewissen Hit-Appeal zurück. Ganz ohne Gitarren elektrisiert "Satanic (Don't) Panic" danach auf bisher gewohnte Weise. Todesdrohungen gegen Künstler, öffentliche Verbrennungen von Schallplatten und frei erfundene Anschuldigungen waren die Antwort fundamentaler Kritiker und des Klerus. The Devil & The Universe zerstampfen diesen Pseudo-Protest hier kompromisslos auf der Tanzfläche. Wie die hinduistische Göttin Kali richtet sich deren Zorn gegen alte Dämonen. Im Beatles-Film 'Help!' steckte sich Ringo Starr den Ring der Kali an den Finger, die Rolling Stones kolportierten vermeintlich "Kali's Tongue" in ihrer Band-Symbolik. Doch diese Göttin des Todes und der Zerstörung steht auch für die Erneuerung. Diese "Revelation 69" weckt jedoch zuweilen auch verborgene Ängste.

Was sich hier vielleicht wie ein herrlich psychedelisches Pop-Art-Paradies liest, ist in der Tat ein äußert homogenes, erhabenes Album und zu einem Highlight dieses Jahres geworden. Nie verliert sich der Spannungsbogen in den Arrangements und nonverbalen Erzählungen. Und es ermuntert dazu, den aktuellen 'Final Cut' von 'Apocalypse Now' nebst einem Wavy Gravy-Eis von Ben & Jerry's, benannt nach dem Hog Farmer und Clown-Prinzen der Woodstock-Generation, nicht nur gedankenlos verklärt zu konsumieren. Well it's 1969 okay ...