David Sylvian blickt auf eine lange Karriere zurück, die mit seinem Lead bei Japan begann und dann auf unterschiedlichsten Pfaden bis in die heutigen Tage führt. Zwar hat Sylvian aus gesundheitlichen Gründen seine für März und April geplante Tour absagen müssen, die umfassende Werkschau ‚A Victim Of Stars’ steht jedoch dieser Tage davon unbenommen in den virtuellen Regalen der Plattenläden. Für Freunde der haptischen Dinge jedoch, gibt es auch einen wunderbar designten Digipak mit minimalistischem silbernen Booklet. Drei Bilder zeigen den jungen Solo-Künstler in umwerfenden Grautönen, die mehr aussagen als die meisten Farbfotografien. Auf dem Frontcover steht Sylvian im Mantel vor einer Wand, bzw. nein, er steht vor einem Abgrund zu einer weitläufigen Landschaft im Nebel. Ähnlich wie mit dieser visuellen Erfahrung ergeht es dem Hörer auch bei den Songs, denn was man vordergründig in eine bestimmte Schublade stecken möchte, entpuppt sich beim genauen Hinhören als vielschichtiger und überraschender als zunächst vermutet. ‚A Fire In The Forest’ könnte glatt als jazzige Pop-Ballade durchgehen, würde man sie mit den entsprechenden Nebengeräuschen in einer Lounge hören, nimmt man sich jedoch die Zeit die Umwelt einmal bewusst auszublenden, eröffnet sich genau wie auch bei ‚The Only Daughter’ ein paralleles ambientes Universum, das mit dezenten Elektronik-Samples und wabernden Flächen Grautöne jenseits der 256er Palette einbringt. Immer noch legendär sind die frühen Songs, die Sylvian mit Ryuichi Sakamoto aufgenommen hat und von denen es ‚Forbidden Colours’ ja sogar in die britischen Top Ten geschafft hat. Zunächst jedoch ist ‚Ghosts’, vom Japan Album ‚Tin Drum’ in einer Non-Album Version der Opener und zeigt beeindruckend auf, was der Hörer über die nächsten zweieinhalb Stunden zu erwarten hat. Klarer, beruhigender Gesang mit durchdachten Songstrukturen in filigraner Instrumentierung/Produktion. Es schließen sich drei Songs vom Album ‚Brilliant Trees’ an, die sehr viel kopflastiger erscheinen und die Einflüsse des Jazz auf Sylvian transportieren. Dieser gute jedoch anspruchsvoller anzuhörende Pfad setzt sich auch mit dem nächsten Album fort bevor mit ‚Orpheus’ und ‚Waterfront’ schließlich der verträumtere, leicht elektronische Sylvian zurückkehrt und das präsentiert, was man schon bei Japan lieb gewonnen hatte: anspruchsvollen Pop. Eine weitere Kooperation mit Sakamoto die Trip-Hop-Strukturen der Neunziger vorwegnimmt ist mit ‚Heartbeat’ aus dem Jahre 1991 enthalten. Chronologisch geordnet befasst sich CD2 mit den Jahren 1993 bis 2012, denn die Zusammenstellung wird mit dem neuen Song ‚Where’s Your Gravity’ beendet, der mit Streicherensemble und leichten Rat-Pack-Nuancen aufwartet. Die Kooperation mit Robert Fripp, die im Jahre 1993 mit ‚Darshana’ sogar zu einem legandären Future Sounds of London Remix führte wir mit dem psychedelisch folk-rockenden ‚Jean The Birdman’ integriert, bevor weitere Kooperationen der unterschiedlichsten Art aus ‚Dead Bees’, ‚Blemish’ und ‚Snow Borne Sorrow’ anschliessen’. Ein Highlight ist dabei sicherlich das oben erwähnte ‚A Fire In The Forest’, das vor sich hin knisternd eine warm und zugleich eine mystisch knarzende Atmosphäre erzeugt. Soundtrack-Dramatik, die fast an David Arnold erinnert folgt mit ‚Wonderful World’, bei dem Stina Nordemstam ihre bezirzende, unglaublich zerbrechliche Stimme einbringt. Es gäbe noch so viel zu erzählen, denn jeder der einunddreißig Songs scheint seine eigene kleine Geschichte mitzubringen. Und das ist es, was diese Zusammenstellung und David Sylvian selbst groß macht. Das Unerwartete erwarten und sich auf verschiedenste Klangprodukte einlassen…