Der US-Amerikaner David Christian gründete 2001 das Industrial-Projekt "Cervello Elettronico" (ein italienischer Ausdruck für einen Computer, übersetzt "Elektronisches Gehirn") und tourte z.B. 2004/2005 in den USA als Support für so berüchtigte Menschen wie Manufactura, Terrorfakt und Mono No Aware. Daraufhin veröffentlichte er zunächst in Eigenregie eine limitierte CDr und das ebenfalls stark limitierte Album "Electrophobia", welches allerdings auch gratis über vampirefreaks.com geladen werden kann. 2007 folgte dann auf Crunch Pod das offizielle Début "Negate The Instigator". Christian's Stil, abwechselnd minimalistisch-technoide oder komplexere Rhythmusstrukturen mit Sounds, die unterschiedlich stark Industrial-, Ambient-, und EBM-Elemente inkorporieren, zu kombinieren, erntete gute Kritiken. Seitdem remixte er u.a. Caustic, Autoclav1.1, Terrorfakt, Memmaker oder auch Leæther Strip, und bewies sein Können auch auf international renommierten Festivals. Dementsprechend zeigt er zudem Präsenz auf einschlägigen Samplern. Das vorliegende zweite Album erschien dann Ende 2009 zuerst auf Crunch Pod für den amerikanischen, dann 2010 auf Rustblade für den europäischen Markt. Mit "Bipolar" bietet Rustblade noch ein auf 300 limitiertes Box-Set an, das sich aus dem Album, einer Remix-Bonus CD, einer Prostkarte und einem Stecker/Knopf zusammensetzt. Der Titel "Process Of Elimination" bezieht sich auf eine Problemlösungs-Strategie, nach der alle unmöglichen und unlogischen Optionen einer Lösung ausgeschlossen werden (ähnlich Ockhams Rasiermesser). Laut Christian geht es darum, alles Negative im Leben hinter sich zu lassen, um Zufriedenheit zu erlangen. Das erste Stück bildet mit "Septic Shock", "Set On Fire", "Crystal Lines" und "Automation And Dissent" die stärker an Industrial bzw. Rhythmic Noise orientierte Fraktion von Cervello Elettronico's Werk. Das Beatwork ist hier relativ abwechslungsreich, grösstenteil leicht verzerrt und gepaart mit Bleeps, stark verzerrten, rauschenden Sounds und, sofern überhaupt vorhanden, einfach gehaltenen Ansätzen von Melodie. So enthält der Opener als Melodieträger nur die erwähnten Bleeps und flächige Synths, welche nur zwischen wenigen Tonhöhen wechseln und, durch eine Art sich überlagerndem Delay-Effekt, einen kontinuierlichen Verlauf bilden. Sehr repetitiv, aber in Korrelation zum Rhythmus auch sehr immersiv. Bei "Automation And Dissent" steuert Richard Pyne (Uberbyte) Vocals bei und liefert taktkonforme, mit viel Distortion verfremdete Shouts. Ein netter Effekt ist die Vermengung eines anhaltenden Schreis mit dem übrigen Noise im Hintergrund gegen Ende des Stücks. Insgesamt scheint es mir das aggressivste Stück auf dem Album zu sein, was sich auch darin äussert, dass hier im Grunde auf melodische Elemente am stärksten verzichtet wird und primär der Beat im Vordergrund steht. Die übrigen Lieder sind dagegen stärker an EBM und Oldschool-Trance oder -Techno ausgerichtet. Das zeigt sich in den geradlinigeren "4 to the floor"-Beats, ausgeprägteren, sphärischen Ambient-Flächen und melodiöseren, sich steigernden Synthlines. "Stimulant" hat bspw. die Qualität eines Tracks, bei dem man auf der Tanzfläche eher in sich kehrt und mit den Schallwellen schwimmt. Kein Banger, aber wieder hochgradig einnehmend. Erreicht wird dies vermutlich durch sich aufbauende, spacige, an Trance erinnernde Klangebenen über einem 4/4-Beat, wobei die Basskicks nicht besonders knackig sind, sondern sehr weich daherkommen. Der in diesem Lied vorkommende Retro-Robo-Stimmeneffekt taucht auf dem Album immer wieder mal auf, und es ist nicht der einzige Sound, der einem bekannt vorkommt. Allerdings werden sie wirkungsvoll ein- und umgesetzt. Bei "Polarity" bin ich mir nicht ganz sicher, wie ich das Stück einordnen soll. Für mich ist es jedenfalls das "Asphyxiate" des neuen Albums. Karloz.M aka Manufactura zeigt sich hier für die sehr ruhig gesprochenen, teils nahezu geflüsterten, tiefen Vocals verantwortlich. Dazu gibt es einen überaus minimalistischen, durchgehend simpel gehaltenen, relativ langsamen 4/4-Beat. Irgendwann beginnt ein entschärfter Snare-Sound auf jedem 2. Beat einzusetzen, eine geschäftige Bassline füllt den Sound weiterhin aus und sphärische Synth-Einlagen, abwechselnd mit akzentuierteren Sound-Fingerübungen, machen aus diesem pulsierenden Etwas ein Lebewesen mit Gesicht. Es wird eine sehr ruhige, unheimliche und mechanische Stimmung evoziert, aber nichtsdestotrotz bleibt es immer bei einem angenehmen und vollen Sound. Ähnlich verhält es sich mit "Dead Time", zu dem Ben Arp (C/A/T, Crunch Pod) seine mit viel Echo versehenen verzerrten Vocals beigesteuert hat. Im Gegensatz zur US-Version sind auf dem Rustblade-Release am Ende noch 2 Remixes hinzugefügt worden.Der Remix von Zeller, dessen neues Album "Turbulences" übrigens am 29.06. bei Tympanik erscheint, bleibt in der Nähe des Originals, übernimmt aber nicht die verzerrten Vocals und reduziert insgesamt die Distortion. Er wirkt dadurch weniger aggressiv und betont den experimentellen Charakter. Aesthetic Perfection's Remix macht aus meinem Highlight der Platte eine relativ fade EBM-Nummer. Die Vocals bleiben, entfalten aber nicht mehr ihre Wirkung. Zu upbeat, und wenn dann auch noch die gewohnten Kirmestechno-Synths in gewohnter Tonfolge dazugeschaltet werden ist jegliche Atmosphäre dahin. Cervello Elettronico synthetisiert aus seinem umfangreichen Sample-Archiv sehr stimmungsvolle und tanzbare kleine Singularitäten, welche aufgrund ihrer Anziehungskraft die Raumzeit krümmen, einen sich annähernden Hörer einfangen und die Zeit zum Stillstand kommen lassen können. Der Beat und die Synths ergänzen sich gegenseitig sehr gut darin. Ich bin gespannt ob diese Wahrnehmung über längere Zeit aufrechterhalten wird und die Leider ihren Charme behalten, oder ob es, in Anbetracht der sich teils kaum varrierenden Loops, droht langweilig zu werden. Nach mehrmaligem Durchhören bin ich allerdings noch lange nicht müde geworden. Sicher eine lohnenswerte Investition für Fans von (instrumentalem) EBM sowie etwas noise-lastigerem, aber rhythmisch zugänglichem, Industrial.