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Caretaker - Amorph
Es ist interessant, sich einmal vor Augen zu führen, wie verschieden Bands und Musikanten über alle Musikrichtungen hinweg die Wertigkeit des Gesangs in den Ergebnissen ihrer Kreativität einschätzen. Die Extreme sind dabei Veröffentlichungen, auf denen die Stimme offensichtlich als pures Instrument verwendet wird (wo es eben in erster Linie auf die Musik und nicht den Inhalt der Lyrics ankommt), und das typische Liedermacher-Image, bei dem Inhalte absolut alles sind und auch die Musik selbst eher untergeordnetes Beiwerk darstellt. Und es gibt Künstler, die es recht gut schaffen, das Beste von beiden Extremen zu verbinden, ohne notwendigerweise in eine der beiden Richtungen abzurutschen, die clevere Texte einpacken in kompakte und schlüssige Songs... Zu jenen gehören mit Sicherheit auch CARETAKER, deren Erstling "amorph" dieser Tage das Interesse der Musik-Fans sucht. Beginnend mit dem ersten Song "Medienmasse" erkennt der aufmerksame Zuhörer: Die beiden Berliner leben nicht nur in ihrer Traumwelt, den engen vier Wänden ihres Studios oder den üblichen Themen, die für Lyrics gern herangezogen werden, sondern sind Zeitgenossen, die offenen Auges und denkenden Hirnes durch die Welt gehen, sich Gedanken über die Gesellschaft und die Umgebung machen, in der sie und wir leben, die sich nicht scheuen, die Resultate dieser Gedanken mit den Hörern ihrer Musik zu teilen. Im Endeffekt führt dies auf "amorph" zu zehn Songs zwischen Philosophie und Melancholie, zwischen Introvertiertheit, Nachdenklichkeit und auf den Punkt gebrachter Gesellschaftskritik, die zum Blättern und Lesen im Booklet der CD animieren und durchaus auch - wie sagt man so schön - "food for thought" sein könnten (sollten?). Aber CARETAKER sind nicht nur Texte, und "amorph" ist, was die Musik betrifft, doch gut genug, um nicht nur auf den lyrischen Inhalt reduziert zu werden. Musikalisch bewegt sich die Band irgendwo im bizarren Dreieck zwischen Synthie-Pop, EBM und fast schon rockigen Klängen, irgendwo zwischen Commercial Breakup, And One und den synthie-geladenen Alben, mit denen Rush Ende der 1980er ihre "alten" Fans erfolgreich zu irritieren wußten. Die Arrangements der Songs sind durchweg als gelungen zu bezeichnen, schaffen es, Stimmung zu erzeugen, abwechslungsreich und interessant zu wirken und sich gleichermaßen ohne überflüssige Spielereien aufs Wesentliche zu beschränken, straight und effektiv und, sowohl was Rhythmik als auch Gesang, was Instrumentierung und Sound-Effekte allgemein betrifft, originell, frisch, irgendwie unverbraucht zu wirken. Sicher gibt es noch einige Parts oder Passagen, die sich wirkungsvoller oder schlüssiger hätten umsetzen lassen, aber dafür ist es ja auch ein Debüt... Insgesamt kann man der Band attestieren, daß sie gute Arbeit geleistet und mit "amorph" ein verdammt starkes, akustisch wie auch optisch ansprechendes Erst-Album vorgelegt hat, welches sich Ende des Jahres mit Sicherheit auf meiner "Best Of" - Liste wiederfinden wird. Wer originelle elektronische Musik mit einer Prise Melancholie, einem Schuß modernem Pop-Appeal, einer ganzen Menge Energie und sehr lesenswerten Texten mag, der darf hier fast bedenkenlos zugreifen; allen anderen seien zum Antesten "Medienmasse", "300000 km/s" und "Abschied" empfohlen. Ich find's richtig gut.
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