Calva Y Nada bestanden nur acht Jahre – das Elektroprojekt von Constantin „Breñal“ Warter veröffentlichte in den Jahren zwischen 1990 und 1998 sechs Alben um danach völlig in der Versenkung zu verschwinden. Seltene Liveauftritte, kaum Photos des Musikers selbst und nur geringe Informationen im Netz strahlen eine Anziehungskraft aus, die bei Fans auch nach Jahren nicht abgebrochen ist. Denn hinter all der Geheimniskrämerei steckte ein musikalischer und lyrischer Kern, den man so nur selten in der elektronischen Musiklandschaft finden kann. Bereits das erste Album „El Peste Perverso“ hatte einiges zu bieten, aber besonders die beiden Folgewerke „Dias Felizes“ und „Monologe eines Baumes“ erhielten rege Aufmerksamkeit in der DarkWave und Electro Szene und Lieder wie das neu aufgenommene „Paradies“, „Schmerzenskrone“, „Der Sturm“ und ganz besonders „Rascheln“ werden auch heute noch auf Parties gespielt und sind in den Köpfen hängengeblieben.

Im Rahmen meiner Top10 Jubileumsalben habe ich mich aber für Album Nummer 4 im Katalog entschieden: „Palpita, Corazón, Palpita“. Die Musik von Calva Y Nada lässt sich grundsätzlich mit anderen Vertretern des 90er Electros vergleichen: frühe Pitchfork, Apoptygma Berzerk oder auch Das Ich – die Musik war aus dem EBM entstanden, entwickelte sich aber weg von der einfachen Struktur zu melodiösen und emotionalen Klängen und inhaltlichen Aussagen die über stumpfe Ansagen hinausgingen. Die Unruhe und Aggression wurde nicht über den Bass entwickelt (wie es leider heute der Fall ist) sondern über Melodie, DrumProgramming und vor allem dem Inhalt. Mit der Glatze des Willens, dem Vorgängerprojekt von Calva Y Nada (zusammen mit Hum Prójimo), hatte Breñal bereits zwei Alben veröffentlicht und man schaffte es sogar mit „Kein Abschied“ auf den ersten German Mystic Sounds Sampler. Doch nach der Trennung schlug Breñal eine andere Richtung ein, die schwierigen und eher anstrengenden Arrangements wichen einem eingängigeren Konzept. Die Musik funktioniert auf verschiedenen Ebenen: eingängige Kracher mit für damalige Verhältnisse recht harter Umsetzung und eher atmosphärische Tracks mit zum Teil eigenwilligen Kompositionskonstruktionen wechseln sich ständig ab.

Alle Arrangements wurden von Breñal selbst eingespielt und programmiert und bis zum Ende merkte man der Musik an, daß hier ein Mann zu Werke ging, dessen Ideen in einem ständigen Konflikt zu seinen spielerischen Möglichkeiten standen: zugegebenermaßen fällt sein Drei-Finger-Suchsystem am Keyboard schnell auf, aber wie kaum ein zweiter schaffte er es, mit diesem „Können“ eine unglaubliche Masse an mitreißenden Kompositionen zu schaffen (was an der liebevollen Umsetzung, Programierung und dem knackigen Drumming lag). Die Vocals sind tief, böse und frei von Verzerrungen elektronischer Art (was man auf Anhieb nicht meinen will) – sie klingen grundsätzlich unglaublich gut, auf der „Palpita, Corazón, Palpita“ waren sie aber perfekt.

Wieder wurde in deutsch und spanisch gesungen und wieder wurden eindringliche lyrische Kunstwerke geschaffen, die auch Jahre später noch aufrütteln. Das gilt besonders für den ersten Track des Albums: „Fernes Leid“ ist eine absolute Bombe in jeder Hinsicht, tanzbar, hart und mit einem Text, der auf ganz nüchterne und menschliche Art beschreibt, warum der Krieg in der Welt eben doch nicht so schwer wiegt wie die eigenen (und eigentlich nur sehr kleinen) Probleme: Die Nachricht dringt heran An fast schon taubes Ohr Viel Tod, und Leid, und Schmerz Wieder mal in der Welt Der Tag beginnt Mit neuem Leid Mit fernem Leid Geht mich nichts an Ich sitz beim Frühstück schon Und hör'dem Radio zu Sehr weit, weit entfernt Da gibt's mal wieder Krieg Die Nachricht dringt heran An jetzt schon off'nes Ohr Viel Tod, und Leid, und Schmerz Wiedermal in der Welt Ich geh'zur Arbeit jetzt Und möchte, nichts mehr hören Ich bin mir selbst uviel Irgendwo stirbt ein Mensch Bis heute der Text, der mich am meisten mitreißt und trifft. Die folgenden 42 Minuten sind ein Wechselbad der Gefühle, eine anstrengende Reise durch die Welt von Calva y Nada. Es wird sehr viel auf Spanisch gesungen, nur wenige Lieder sind wirklich als solche zu bezeichnen... Oft sind es Klangkollagen und ruhige Stücke mit den immer anklagenden Vocals. „Asco“ kommt zum Beispiel fast ohne Drumming aus, „Fuera“ hingegen ist vom Aufbau eher untypisch für den sonst so tanzbaren Elektro, den die Leute von einem Release aus dieser Zeit und Musikrichtung erhoffen würden.

„Pesadilla“ ist dann wieder ein tanzbarer Kracher, der durch seine Lautstärkeveränderungen, die Drums und stimmungsvolle Instrumentierung an hypnotische Ritualmusik erinnert. Das Titelstück selbst thront mit seinen 14 Minuten Spielzeit über allem – ein ruhiges und hoffenungsloses Stück mit einem Text, der dem Hörer Klöße im Hals schenkt. Wieder wird mit einfachen Worten „alles“ gesagt. Zugegebenermaßen: Calva Y Nada ist anstrengend und klingt heute etwas antiquiert, wer aber nach der 100sten Runde Hellektro nicht mehr weiß, warum er elektronische Musik eigentlich liebt, der sollte sich dieses Album zulegen – denn diese Musik ist nicht nur zum gesichtslosen Tanzen geschaffen worden. Sie lebt, leidet, gibt so viel und lässt den Hörer dann traurig und irgendwie leer zurück. Eine offiziele Präsenz von Calva Y Nada findet sich nicht im Netz, es gibt aber ein paar Fanpages und auch eine Fan-Myspace Präsenz. Da diese aber recht unbefriedigend sind gebe ich keine Links an.