Welch eine überraschende Ehre – gleich zwei größere Namen der Szene, die sich immer mal wieder auf die Titelblätter der 3 größeren Magazine verirren, haben sich nun in meinem Briefkasten eingefunden und wollen gelauscht und gewürdigt (gewürgigt ?) werden. Und mit der zweiten CD liegt das neueste Werk der Berliner Blutengel um Herrn Pohl vor. Und wieder wirds zappenduster, denn nach "Nightglory" bespreche ich "Nachtbringer" – ein Schelm, der vermutet, dass ein Wort wie Nacht absichtlich auf dem Cover plaziert wurde um klarzustellen, dass es düster wird. Aber sind die Kompositionen "dark enough" oder ists in Sachen Kreativität zappenduster geworden im Hause Pohl? War es jemals hell? Gleich vorweg – auch wenn mich die lyrischen Irrfahrten durch den Kindergarten der Gruftikommune weiterhin sch(m)erzhaft an eine Wurzelbehandlung erinnern und mich immer wieder vom guten Pfad der möglichst objektiv wirkenden Berichterstattung abhalten, muss ich doch gestehen, dass ich wirklich Spaß mit dem "Nachtbringer" hatte. Und das geht mir zum ersten mal in der langen und vor allem reichhaltigen Geschichte Chris Pohls' musikalischer Ergüsse so. "Nachtbringer" erscheint als EP mit beiliegender Live-DVD und bietet erstaunlich viel Musik und musikalisch und qualitativ wirklich anständige Kost. Aber noch einmal zur Sicherheit: wer sich an grausig dämlichen Texten und einem Reimschema mit der Flexibilität eines Fahrplans aufhängt wird auch "Nachtbringer" nicht ertragen. Gleiches gilt auch für den soliden Livemitschnitt, der nur dann wirklich zum genießen einläd wenn man a) jung ist und denkt, dieses Outfit und diese Maskerade seien "dark" oder b) die Augen einfach nach dem drücken der "Play" Taste geschlossen hält.... So, nun zur Musik: Davon bekommt man erstaunlich viel für dieses gute Teil, das unter dem Deckmantel einer EP eher kurz(weilig)es Vergnügen heuchelt. 8 neue Tracks, 3 Demoaufnahmen und ein Live-Stück sind ja eigentlich eher Album-Standart. Und die neuen Stücke können instrumental und musikalisch überzeugen. Als Nicht-Fan der ersten Stunde sind mir zugegebenermaßen nur die ersten beiden Alben in wirklich schmerzhafter Erinnerung, danach mied ich den direkten Kontakt mit dem Gesamtkatalog sondern zog es vor, mich nur über Einzelbeiträge in den Diskotheken auszulassen. Im Zuge dieser Review habe ich mir dann noch das letzte reguläre Album "Tränenherz" (*Trash-Titel-Bonus*) angetan. Aber eigentlich ist all das schlimme Vorwissen nicht notwendig, denn Blutengel klingen 2012 wirklich erfrischend und stimmig. Schön orchestral und episch, poppig und tanzbar, gut gesungen. Einfach klasse. Und da ich die Klassiker (?) "Weg zu mir" oder "Seelenschmerz" noch in traumatischer Erinnerung habe finde ich auch den Wechsel beim weiblichen Gesang mehr als begrüßenswert: kein einschläferndes Geseiere mehr sondern klarer, unaufgeblasener Gesang. Und Herr Pohl ist auch gut bei Stimme. Abwechslung findet sich im engen Blutengelrahmen standartgemäß auch: Der Titeltrack lockt mit seinem groovigen Refrain und einen Text, den man fast schon vor dem ersten Hören mitsingen kann, direkt aufs Parkett der Düster-Techno-Schuppen. "Out of control" ist tanzbar mit Schmachterefrain (und mein Favorit) und mit "Time" wirds dann verträumt melancholisch. Und so weiter. So, also klingen Blutengel heute so gut wie andere Mainstreamprojekte und bieten solides Songwriting ohne unnötige Ecken und Kanten. Weiterhin sind Blutengel eher für ein jüngeres und unanspruchsvolleres Publikum. Aber immerhin: Wenn ich heute ein Blutengel-Shirt oder den Chris Pohl Gedenk Look sehe weiß ich immerhin, dass die Musik nur für Trashliebhaber und Gehörlose erträglich ist. Und für das Gesamtpaket kann man deswegen wohl 4 Punkte zücken (Preis-Leistungs Bonus).