Australiens hochkarätiger Künstler aus dem Dark Ambient-Bereich, David Thrussell, hat mit seinem Projekt Black Lung wieder ein Album veröffentlicht, das ungewöhnlicher nicht sein könnte. Das Ungewöhnliche manifestiert sich schon im Hintergrund seiner Entstehung. Im März 2008 beauftragte offenbar (und die Betonung liegt auf offenbar) die US-Amerikanische Behörde DARPA (dem amerikanischen Verteidigungsministerium angeschlossen und maßgeblich involviert in das Projekt ARPANET, aus dem das heutige Internet hervorging) David Thrussell, eine Aufnahme zu kreieren, welche die Ideale und Realität von "Vision 2020" widerspiegelt. "Vision 2020" ist laut Ant-Zent-Presseinfo ein auf die Zukunft ausgerichtetes militärisches Strategieprogramm, an dem bereits seit Mai 2000 gearbeitet wird. Die Aufnahmen Thrussells sollten zwei Funktionen erfüllen: Zum einen, denjenigen, die in sehr anspruchsvollen Forschungsfeldern im Pentagon arbeiten, einen inspirierenden Soundtrack für ihren täglichen Arbeitstag zu liefern, zum anderen, der Öffentlichkeit Informationen und ein Bild von bislang nur sehr wenig bekannten Abteilungen innerhalb des Militärs zu geben. PR in Reinkultur also. In dieser Zeit hatte Thrussell Einblick in Vorgänge, mit denen nicht nur wenige, ausgewählte Menschen befasst sind, sondern die auch noch den Stempel "Top Secret" tragen. Interessanterweise stellt diese einmaligen Erfahrung für den generell recht sozial- und regierungskritischen und in erster Linie unabhängig arbeitenden Künstler nach eigenen Worten keinen ideellen Konflikt darstellt. Man möchte fast glauben, hier hätte jemand seine Seele an den Teufel verkauft, hart gesprochen. Mit einem ordentlichen Budget und wie oben erwähnt weit reichendem Zugang zu wichtigen Abteilungen, Einrichtungen und Personal hatte David Thrussell das Projekt nach einem Jahr fertig gestellt – ein Tondokument aus Feldstudien und hardwaregenerierten Sounds, das zwischen ruhigem, szenischem Ambientsound, Soundtrack, Minimalelektronik und rhythmischen, tanzbaren Noise-Beats pendelt. Je nach inhaltlicher Thematik des jeweiligen Songs wechselt Stimmung von sanft bis hin zu aggressiv. Thrussel nutzt eine große Vielfalt an Sounds und Rhythmen, um abstrakte Begrifflichkeiten wie Macht, Einfluss, Überwachung, Kontrolle, Manipulation (vor allem in Verbindung mit der Berichterstattung durch die Medien), Wirtschaft, Kapitalismus (topaktuell im Hinblick auf das Finanzchaos), Bildung sowie Umweltprobleme hör- und fühlbar zu machen. Möglichen Zukunftsmodellen schenken vor allem die letzten Songs des Albums Beachtung: Wird die Erde durch die unermessliche Ausdehnung der Sonne verbrennen und mit ihr alles Leben? Oder wird sich die Zukunft ähnlich der Darwin'schen Theorie gestalten und viele verlieren ihr Leben zugunsten weniger, die sich weiterentwickeln können – sprich es droht eine Art globale Aufräumaktion, in der "Überflüssiges" ausradiert wird und nur die am besten Angepassten und Fähigsten überleben? Beschäftigt man sich parallel zu den Klangcollagen mit den ausgesprochen kompliziert, hochgestochen und intellektuell-affektiert verfassten englischen Erläuterungen zu den einzelnen Titeln, könnte es passieren, dass man sich schlussendlich nicht mehr sicher ist, ob das Projekt nun einen kritischen und tatsächlich denkbaren Zukunftsentwurf widerspiegelt oder nicht doch eher in fragwürdiger Utopie und Visionarität versinkt. Trotz der ansprechenden musikalischen Umsetzung bzw. des spannend konzipierten Sound macht sich Unbehagen breit angesichts der schwer zu interpretierenden Anmerkungen und der Tatsache, dass trotz intensiver Recherche im Internet nichts wirklich Handfestes oder gar zweifelsfrei Identifizierbares zu einem Projekt Vision 2020 zu finden ist. Das Ganze ist ausgesprochen fragwürdig und obskur, um es kurz zu sagen. Wer braucht einen PR-Soundtrack, der das Tun und Lassen oder die Zukunftsforschung des US-Militärs und seiner damit befassten Einrichtungen bewirbt? Kein Mensch, hoffentlich. Wer mehr darüber weiß oder schlauer ist, darf gerne einen konstruktiven Kommentar hinterlassen. Eine Punktebewertung des Tonträgers erfolgt diesmal nicht.