Was die geographische Lage angeht, dominieren im Electro-/Industrialbereich die Bands aus Europas Mitte und Norden. Aus Ländern wie Spanien, Frankreich oder Italien kommt nur eine vergleichbar geringe Anzahl an Aufsehen erregenden Bands. Italien ist aber ein schönes Beispiel dafür, dass Klasse durchaus Masse ersetzen kann. Wenn man die bekannten Bands aufzählt, wird schnell klar, dass es sich fast immer um besondere Bands handelt. Neben Pankow, die unbestritten Kult sind, überzeugen auch Bands wie Kirlian Camera, The Frozen Autumn, Templebeat (heute Metal Music Machine) oder Blank durch Eigenständigkeit. Auch Bahntier, gegründet vor ca. 10 Jahren, schaffen es im Spannungsfeld zwischen Industrial und Electro eine Ausnahmestellung einzunehmen. Schon im Oktober 2008 ist „Venal“ erschienen. Und direkt der gleichnamige Eröffnungstrack macht klar, dass der Einstieg von Justin Bennett als Produzent und Drummer seine Spuren hinterlassen hat. „Venal“ lebt von den lebendigen Drums des ehemaligen Skinny Puppy Drummers und ist ein Electro-Trip ganz in der Tradition von Skinny Puppy, was nicht zuletzt an den ähnlichen Vocals liegt. Auch andere Tracks wie „Roots“ erinnern stark an die kanadische Überband. Allerdings tappen Bahntier nicht die Falle, in der so viele Epigonen stecken. Dafür sind sie zu originell und vor allem zu stark in der Industrial-Szene verwurzelt. Denn teilweise knartzt, bollert und knirscht es unter der normalen Songstruktur, dass es für Fans von Bands wie Hypnoskull etc. eine wahre Freude sein dürfte (z.B. „Neurosickness“, „My God“ und „Diviner“). „Memory Faces“ wiederum erinnert mich an Klinik, mit dem Unterschied, dass Klinik einen sehr reduzierten Sound nutzen, während Bahntier mehrere Schichten übereinander legen. „Venal“ ist ein ziemlicher Ritt, in dem es nur sehr kurze Momente zum Ausruhen gibt. Wer aber einmal einen Live-Auftritt der Italiener gesehen hat, wird Ruhe allerdings nicht wirklich erwarten. Auch wenn mich der Vorgänger Blindoom mehr gefesselt hat, ist ein „Venal“ ein fett produziertes, überzeugendes Album, das in erster Linie Freunden von Skinny Puppy/ohGr gefallen dürfte, ohne die Bahntier-Fans aus der Industrial-Ecke zu verprellen. Anspieltips sind für mich das wahnsinnige und in Jungle-Geschwindigkeit daherkommende „My God“, sowie die angesprochenen „Memory Faces“, „Venal“ und „Roots“. Zu letzterem Song gibt es auch ein Video der Band, das allerdings nicht ansatzweise so extrem ist, wie die auf Konzerten eingespielten Videosequenzen. Wem die 34 Minuten des regulären Albums nicht ausreichen, bekommt bei der limitierten Variante noch eine EP dazu, die mir aber nicht vorliegt.