Attrition, 1980 im englischen Coventry gegründet, ist ein Phänomen. Zahlreiche, international hochdekorierte Alben, Auftritte in der ganzen Welt sowie etliche Beiträge zu Filmsoundtracks haben dem von Ausnahmekünstler Martin Bowes gegründeten Projekt bisher nicht zum großen (kommerziellen) Durchbruch verholfen, ihm jedoch unwiderruflich so etwas wie Kultstatus bei Liebhabern anspruchsvoller Musik, die in aufregender Weise elektronische Klänge mit klassischen Kompositionen in sich vereint, verliehen. Attrition ist experimentelle Kunst, die stets das Neue, das Andere sucht, die einen Entwicklungsprozess mit offenem Ende darstellt und immer wieder überrascht. Ausgehend von den musikalisch-geistigen Wurzeln im englischen Punk und Industrial der frühen 80er Jahre, lassen sich in den Werken von Attrition die unterschiedlichsten Einflüsse und Richtungen (von Ambient über Gothic bis zu Klassik) erkennen, die jeder Veröffentlichung ein unverwechselbares Gesicht geben und von der schier grenzenlos scheinenden Kreativitiät und Ausdrucksstärke Bowes' zeugen. Mit "The Eternity LP" folgt nach der beeindruckenden Compilation von Frühwerken "Something stirs" eine Sammlung von jüngeren Stücken aus den Jahren 1997 bis 1999. Die beiden EPs "The Eternity EP" (1997) sowie "Kissing a virtual angel" (1999) gehören längst zu raren und gesuchten Sammlerstücken, nun erscheinen die insgesamt neun Titel remastered und mit neuem Artwork auf dem bandeigenen Label Two Gods. Der Focus der beiden EPs liegt auf dem virtuosen Viola- und Violinenspiel des Pariser Opernmusikers Franck Dematteis, das sich auf betörende wie beklemmende Weise mit der Stimme Julia Wallers sowie Martin Bowes’ elektronischen Arrangements zu eindrucksvollen und eigenwilligen Kompositionen verbindet. Der Opener und Titeltrack "I am (eternity)" überrascht mit einer außergewöhnlichen Symbiose aus entspannten, mystisch aufgeladenen Trip Hop-/Ambient-Klängen, Julia Wallers ergreifender Intonierung sowie einer zurückhaltenden, filigranen, aber sehr charismatischen Geige. Auch "Cold Genius" ist geprägt von dezenten, pulsierenden elektronischen Sequenzen, die durch Frank Dematteis Viola- und Violinenspiel eine kontrastierende Wirkung erfahren und damit einen besonderen Reiz ausströmen. Titel wie "Feel the backlash" oder "At the fiftieth gate" lassen kaum erahnen, dass es sich hier um feinsinnig inszenierte Klassikperlen handelt, deren Erhabenheit sich vor allem in der bewusst gewählten minimalistischen Instrumentierung ausdrückt. "A virtual angel" vermag mit seinem psychedelischen, bisweilen disharmonisch anmutenden Violinenspiel zu befremden und gleichzeitig gefangen zu nehmen. "Metamorphosis" scheint die musikalische Fortsetzung zu sein, offenbart sich in diesem Stück doch schon bald die harmonische Schönheit des Viola- und Violinenspiels. Auch bei "Illuminati" liegt der Focus klar auf dem klassisch geprägten Spiel voller Anmut und Sehnsucht, während Frank Dematteis und Martin Bowes mit "L’echange" die klassische Instrumentierung in bewussten Gegensatz zur kühlen elektronischen Klangerzeugung stellen und ein verwirrendes, zunächst wenig "greifbares" Hörerlebnis kreieren. Die Musik von Attrition war und ist per se weder schubladentauglich noch vorhersehbar. Ihre anspruchsvolle Komplexität und Unberechenbarkeit, die bewusst inszenierte Perfektion zwingt den Hörer zu einem Höchstmaß an Aufgeschlossenheit sowie der Bereitschaft, sich umfassend auf diese hohe künstlerische Ausdrucksform einzulassen. Das macht Attrition nicht nur geheimnisvoll und höchst anziehend, allerdings auch wenig alltags- und massentauglich.