Es gibt in der elektronischen Musik nur sehr wenige Namen, die selbst Menschen kennen, die mit Trance ansonsten ungefähr so viel anfangen können wie mit einer Steuererklärung auf MDMA. Armin Van Buuren ist so ein Name. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist er der freundliche, stets leicht euphorisch wirkende Dauerläufer der internationalen Trance-Szene – DJ, Produzent, Labelbetreiber, Radiomoderator und irgendwie auch musikalischer Motivationscoach für Millionen von Menschen. Sein wöchentliches Radioformat ist Institution, seine Festivalauftritte ritualisierte Massenandachten, seine Diskografie ein kaum noch überschaubares Monument elektronischer Tanzmusik. Wenn irgendwo „Trance“ draufsteht, ist Armin Van Buuren meist nicht weit.
Und genau deshalb wirkt ein Album namens 'Piano' zunächst wie ein schlechter Scherz oder wie die Ankündigung eines sehr teuren Wellness-Retreats. Der Mann, der sonst vor LED-Wänden in Flugzeughangar-Größe steht, setzt sich an einen Flügel? Der Inbegriff von Builds, Drops und kollektiver Ekstase veröffentlicht ein Album mit melancholischen Klavierstücken? Ja. Genau das macht er. Und noch viel erstaunlicher: Es funktioniert. Verdammt gut sogar.
'Piano' ist nämlich gar kein verkapptes Trance-Album ohne Kickdrum und auch kein „Schaut her, ich kann auch ernst“-Projekt. Es ist – und das merkt man sehr schnell – ein bewusst entschleunigtes Gegenstück zu allem, wofür Armin Van Buuren sonst steht. Hier geht es nicht um Energie, sondern um Emotion. Nicht um den großen Moment, sondern um viele kleine. Statt euphorischer Spannungsbögen gibt es Pausen, Nachhall, Zurückhaltung. Töne dürfen stehen bleiben, dürfen verhallen, dürfen auch mal unbeantwortet im Raum hängen. Stilistisch bewegt sich das Album zwischen moderner Neoklassik, ruhigem Ambient und jener Art von Musik, die man am liebsten hört, wenn draußen alles ein bisschen zu laut geworden ist – das Leben eingeschlossen. Das Klavier ist dabei kein dekoratives Stilmittel, sondern der alleinige Erzähler. Kein Orchester, keine Effekte, kein elektronisches Sicherheitsnetz. Nur ein Flügel, ein Raum und ein Musiker, der sich hörbar Zeit nimmt. Dass Armin Van Buuren selbst spielt und selbst komponiert hat, hört man nicht im Sinne technischer Virtuosität, sondern im Gefühl für Dynamik und Atmosphäre. Hier will niemand beeindrucken. Hier will jemand erzählen.
Was mich persönlich am meisten überrascht hat: Wie wenig dieses Album nach Armin Van Buuren klingt – und wie sehr es trotzdem nach ihm fühlt. Die melodische Handschrift ist noch da, aber sie ist entkernt, auf ihr emotionales Skelett reduziert. Bekannte Motive und Stimmungen tauchen auf, werden aber nicht ausgestellt, sondern leise angedeutet. Selbst eine bekannte Neunziger-Jahre-Komposition, die hier neu interpretiert wird, fügt sich vollkommen organisch ein, ohne nostalgisch oder anbiedernd zu wirken. Kein Augenzwinkern, kein „Erinnert ihr euch noch?“ – sondern pure, ehrliche Melancholie. Man muss sich allerdings darauf einlassen. 'Piano' ist kein Album für Menschen die bei Musik sofort nach dem Höhepunkt suchen. Das hier ist Tee, nicht Espresso. Wer ständig aufs Handy schaut, verpasst die Hälfte. Wer sich aber wirklich hinsetzt, Kopfhörer aufsetzt und dem Album Raum gibt, wird belohnt – mit Ruhe, mit Tiefe und mit einer Seite von Armin Van Buuren, die man so nicht erwartet hätte.
Und ja, ich gebe es offen zu: Ich hätte ihm dieses Album nicht zugetraut. Nicht, weil ich ihm musikalische Fähigkeiten absprechen würde, sondern weil so viele Künstler in seiner Liga bei solchen Projekten scheitern. Zu glatt, zu kalkuliert, zu sehr „Look, Mom, no DJ booth“. 'Piano' ist das genaue Gegenteil davon. Es wirkt nicht wie ein Imagewechsel, sondern wie ein ehrlicher Blick hinter die Bühne, wenn das Licht aus ist und der letzte Bass verklungen. 'Piano' ist also ein Album für Menschen, die Musik als Rückzugsort begreifen. Für Hörerinnen und Hörer von Neoklassik, Ambient und reduzierter Instrumentalmusik ebenso wie für langjährige Fans, die bereit sind, Armin Van Buuren einmal ohne Laser, Nebel und 128 BPM zu erleben. Es ist ideal für ruhige Abende, für Kopfhörer-Momente und für alle, die sich gern von Musik einfangen lassen, statt von ihr angeschrien zu werden.
Natürlich überhaupt nichts ist dieses Release für alle, die beim Namen Armin Van Buuren automatisch die große Trance-Keule erwarten oder hoffen, hier akustische Festivalhymnen serviert zu bekommen. Wer Eskalation sucht, ist hier natürlich dieses mal falsch. Wer aber neugierig ist, was passiert, wenn einer der größten Namen der elektronischen Musik für eine Stunde ganz leise wird, sollte sich 'Piano' unbedingt einmal anhören. Persönlich hätte ich nicht gedacht, dass mich ausgerechnet dieses Album so lange festhält. Und genau das ist vielleicht das größte Kompliment, das man ihm machen kann.
Armin Van Buuren - Piano
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