„Achtung!“ – mit diesem Appell zu erhöhter Aufmerksamkeit beginnt „Back Home“, der Titelsong gleichnamiger EP, mit der And One die musikalische Saison 2012 einläuten. Im vergangen Jahr begleiteten unzählige nervig-spannende Querelen die Band. Nervig, weil das öffentliche Austragen der Konflikte um den Ausstieg von Gio und Chris eher an zickig-pubertäres Gehabe erinnerte, denn eine seriöse Abwicklung der gewiss unangenehmen Personalentscheidungen im Hause And One wiederspiegelte. Spannend, weil mit der Rückkehr von Joke und Rick sowie dem Hinzuziehen des Condition One-Masterminds Nico Wieditz das qualitative Potenzial der „Nummer 1 des Deutschen Synthiepops“ (so die Selbstbetitelung) deutlich erhöht wurde.

Nun möchte die EP „Back Home“ den Beweis antreten, dass Potenziale auch in brauchbare Resultate umgesetzt werden können. Der „Club Mix“ vom EP-Namensgeber kündigt mit Sirenen und einem stark an Depeche Modes Klassiker „Personal Jesus“ erinnerndem Drum-Intro einen typischen And One-Song an, wie er typischer kaum sein könnte. Die charakteristischen Keyboard-Harmonien stehen zwar zugunsten des dominierenden Beats zurück, doch Gesang und Bass klingen altbekannt. Eine klassische Clubnummer, „Wasted“ lässt grüßen. Die von Backgroundsängerin Sophia Lengert geträllerte Bridge bringt zumindest ein wenig Abwechslung in die bewährte Songstruktur. Ordnet man diesen Vorboten des kommenden Albums „S.T.O.P.“ historisch ein, gab es zwar schon schlechtere Album-Appetizer („Sex Drive / Zerstörer"), aber auch bessere, weil nachhaltig wirkende Aushängeschilder („Military Fashion Show“ und „Krieger“).

Back Home geht in Ordnung, mehr nicht. Anders sieht es mit dem zweiten Song „Wounds“ aus. Die auf den Konzerten der jüngsten Tour live präsentierte Nummer überzeugt durch eine einschmeichelnde Melodie, die an „Playing Dead“ des Tanzomat-Albums anknüpft. Auch die Grundstimmung ist ähnlich, der von Steve angekündigte „Popsong“ ist Wounds aus meiner Sicht nicht geworden. Wenn dies das „poppigste Lied“ sein soll, stellt sich die Frage, wie das nachfolgende „Rick“ als Steigerung von „poppigste“ umschrieben werden kann: „poppigstere“? Oder „mehr poppigste“? Auf jeden Fall ist das Intro angelehnt an die Remixe der Pet Shop Boys-Evergreens „Heart“ und „Domino Dancing“, während der Song an sich zwischen Italo-Disco, Spaß-Pop und irgendwie noch viel mehr Disco in allen Variationen pendelt. Ob das nun DIE Hymne für Rick, den „President of Marzahn“ (so eine Textzeile) ist, möchte ich eher verneinen. Anschließend bringen zwei Remixe richtig Pepp in die Geschichte.

Nico Wieditz, seit ein paar Monaten anscheinend festes Bandmitglied, reduzierte in seinem Remix die Lyrics des Refrains deutlich, reicherte den Sound um ein paar Synthieflächen an und eröffnet auf diese Weise And One den Eintritt in die Welt des modernen Electros. Ein wenig geht es musikalisch in die Richtung von Nicos Band Condition One und deren Clubmixe zu Singles wie „Alive“ und „Believe“. Man darf gespannt sein, wie das hoffentlich bald erscheinende Condition One-Album klingen wird. Daniel Myer hat sich Back Home ebenfalls vorgeknöpft, jedoch nicht ganz so tiefgreifende Veränderungen vorgenommen. Erst in der zweiten Hälfte des Remixes offenbart die „Berlin Version“ mit druckvollen Synthieeffekten ihre Stärken. Abgeschlossen wird die 38-minütige EP mit „Missing Track“, der erstaunt aufhorchen lässt. Sind das etwa Gitarren? Gitarrensamples? Auf jeden Fall trifft hier The Cure auf Chris Rea, doch And One sind nicht wegen Weihnachten nach Hause gefahren, sondern weil sie mit ihrem Comeback in (fast) alter Besetzung zu neuen Ufern aufbrechen möchten. Dies gelingt mit dem Club Mix zwar nicht, aber die Einbeziehung von Nico Wieditz (laut der Credits bei Produktion und Mastering) zeigt erstmals auf, in welche Richtung And One mit dem nächsten Album „S.T.O.P.“ steuern könnten.

Man darf gespannt sein, ob eher Traditionen gewahrt werden oder ob der Mut zu nuancierten Veränderungen siegt. Achja, schaltet nach dem Missing Track nicht gleich den CD-Player aus. Die Interpretation des nun Folgenden überlasse ich jedem Hörer selbst...