Wer schon mal versucht hat, Freunden, Eltern oder Bekannten das Wesen und die Eigenheiten der Schwarzen Szene zu erklären, der dürfte um die Schwierigkeiten wissen, die mit einer solchen Erklärung einhergehen. Wie erklärt man Kleidungsstil und Etikette, wie musikalische Genres, verwendete Symbole oder gar die Vorliebe für die Farbe Schwarz? Allein schon die mittlerweile innerhalb der Szene subsumierten Musikstile würden ein ganzes Buch füllen, zumal hier jeder, der sich innerhalb der Szene bewegt, auch noch einmal eigene (Toleranz-)Grenzen zieht. Alexander Nym unternimmt in dem von ihm herausgegebenen Buch "Schillerndes Dunkel" genau diesen Erklärungsversuch, indem er Beiträge verschiedenster Personen in einem opulenten Band vereint und thematisch kategorisiert. Nach etlichen Lexika, diversen Büchern und mehr oder minder (oder gar nicht) fundierten Medienberichten über die schwarze Szene ein Unterfangen von zwar nicht biblischem, aber immerhin immensem Ausmaß. Und die Conclusio steht gleich am Anfang: Die Gothic-Szene gibt es nicht. Damit ist die Katze aus dem Sack. So, und jetzt? Diese Aussage kann zwar durchaus provokativ verstanden werden, ist inhaltlich aber ganz anders gemeint. Alexander Nym bezieht sie auf ursprünglich allgemeine Verwendung des Begriffs und auf die Vielseitigkeit der Szene. Schließlich wurden auch die Doors mal als "gothic" bezeichnet. Allein die Tatsache, wer und was allgemeinhin unter dem Begriff Gothic zusammengefasst wird, erschwert es, von einer Szene als konvergenter oder gar kongruenter Gemeinschaft zu sprechen. Was hat der Batcaver mit dem Steampunk gemeinsam, was Mittelalter-Fan mit Neofolker oder Schwarzmetaller? Um Unterschiede und Gemeinsamkeiten innerhalb der Szene definieren zu können, begibt sich Alexander Nym am Anfang des Buches mit einer Handvoll Autoren zurück zu den Wurzeln der Gothic-Szene: Es begann alles mit dem großen Aufschrei Ende der 70er, dem Niedertreten vorgegebener Strukturen, dem Lossagen von Konformität und Einheitsbrei: Dem Punk. Diese geballte Ladung Wut gebar so einige Kinder, unter anderem Industrial und Post Punk sowie darauf folgend Gothic Rock und Wave. Aber welche gesellschaftlichen Umstände, welcher Zeitgeist herrschte vor und wie kam es, dass gerade zu dieser Zeit der Grundstein für schwarze Szene gelegt wurde? Im ersten Kapitel "Entstehung und Grundlagen" kann man die Geschichte von Bobby BeauSoleil nachlesen, wie er sein musikalisches, schwarzmagisches Opus zum Film von "Lucifer Rising" im Gefängnis fertigstellte. Genesis Breyer P-Orridge berichtet von seiner Freundschaft zu Joy Division Sänger Ian Curtis, Alexei Monroe beschreibt die Anfänge von Laibach. Sehr amüsant und trotzdem oder gerade deshalb sehr authentisch ist der Bericht von John Murphy über die Austragung des ersten Equinox-Festival 1983 in London. Bereits am Anfang werden auch gleich die Eckpfeiler des Buches verankert, zentrale Punkte die später immer wieder auftauchen werden: Throbbing Gristle/Psychic TV, Death In June und Laibach. In Themen bedeutet das Industrial Culture, Neofolk und das Spiel mit nationalsozialistischer Symbolik. Alexander Nym führt uns im folgenden Kapitel "Genres und Subgenres schwarzer Musik und Kultur" zusammen mit seinen Autoren durch die Musikgenres der schwarzen Szene. Die Beiträge versuchen sich an einer umfangreichen, aber nicht vollständigen Klassifizierung und lassen auch neuere Entwicklungen wie CyberGoth nicht außen vor. Nach den ersten beiden Kapiteln sind damit gewissermaßen die Grundlagen vermittelt. Deshalb werden im folgenden Kapitel die Entwicklungen seit 1990 betrachtet, etwa im ironischen Beitrag von Stefan Gnad über Gothic Metal. Hier werden die drei oben genannten Eckpfeiler immer wieder besprochen oder zitiert, etwa bei der kritischen Betrachtung dessen, was man heute unter Industrial versteht. Die thematische Behandlung der Entstehung von EBM und Neofolk rufen unweigerlich Diskurse zu Laibach und Death in June auf den Plan, die allesamt um Objektivität bemüht sind. Im vierten Kapitel, "Mode, Ästhetik und Lebenskultur", klären Aufsätze und Berichte über Mode und Fetisch, über die Vorliebe für die Farbe Schwarz oder auch über die, von den Medien oft zitierte, für die schwarze Gemeinde von Friedhöfen ausgehende Faszination auf. Der Beitrag von Amodali über das Internetprojekt "Liber Incarnadine" zeigt, dass es auch heute noch und auch unter Nutzungen der modernen Kommunikationsmittel Versuche und Wege gibt, seine eigenen Gefühle und Gedanken auf besondere Weise auszudrücken und festzuhalten. Gerade im Hinblick auf Mode und Ästhetik seien die vielen Bildergalerien in diesem Buch erwähnt, die nicht nur von vergangenen Tagen berichten, sondern auch durch ihre Schönheit überzeugen. Doch bleibt nach all den Beschreibungen, Rückblenden, Fotos und Erfahrungsberichten immer noch die Frage offen, wie es aktuell um unsere Szene steht, wohin sie sich entwickelt und ob es sie vielleicht im schlimmsten Fall irgendwann nicht mehr geben wird. Diese und weitere Fragen werden im letzten Kapitel "Themen und Diskurse" behandelt. Inwieweit sind Konsum und Mainstream in der Szene angekommen bzw. wie wirkt sich die Szene auf den Mainstream aus? Die teils gegensätzlichen Meinungen regen zur Reflektion der eigenen Wahrnehmung und Ansichten an. Myk Jung etwa erhebt den Vorwurf der Standardisierung der schwarzen Musik, wohingegen Peter Matzke im nachfolgenden Artikel der Szene das Misstrauen gegenüber Fortschritt, Konsum und Wachstum attestiert. Andréa Nebel fragt "Was ist nur aus unserer Szene geworden?" und appelliert gegen die um sich greifende Oberflächlichkeit. Der Beitrag von Martin Lichtmesz über Neofolk im Allgemeinen und Death In June im Besonderen zeigt, dass Douglas Pearce, obwohl er seit Jahren nicht mehr live auftritt und sich kaum noch öffentlich äußert, immer noch der Polarisationspunkt in der Szene ist. Das wiederholte Argumentieren gegen Antifa und Linke, die es in den 90ern auf Death In June abgesehen hatten, ist nicht nur nach den vielen Artikeln in diesem Buch, die sich bereits mit dem Thema beschäftigt haben ermüdend, zumal Lichtmesz selbst eingesteht, dass es heutzutage kaum noch Aufregungen wegen bestimmter Symbolik oder Themen gibt. Nun bleibt nach 400 Seiten, zahlreichen Abbildungen, Galerien und Fußnoten die Frage, lohnt sich die Ausgabe von 68 Euro für dieses Buch? Die Antwort ist eindeutig: Ja, unbedingt! Sicherleich ein stattlicher Preis, aber "Schillerndes Dunkel" ist in seiner Form einzigartig. Vom edlen Design im (etwas unhandlichen) Kunstbuchformat bis hin zu den zahlreichen Beiträgen bietet dieses Buch so viel Stoff zum Lesen und Nachdenken, dass man darum eigentlich nicht herumkommt, wenn man sich mit der Szene auseinandersetzen möchte. Schade ist nur, dass nicht mehr jüngere Schreiber zu Wort kommen. Aber nach eigener Schilderung von Alexander Nym kamen von den angefragten Personen keine Beiträge zurück. Natürlich liegt der musikalische Schwerpunkt bei Industrial und Neofolk, weil diese beiden Musikrichtungen am stärksten polarisiert haben und es immer noch tun. Damit bleibt noch ein Kritikpunkt zu nennen: Der Gothic Rock kommt leider ziemlich kurz weg. Trotzdem: Diese durch seine wissenschaftlichen und persönlichen Beiträge durchaus kritische aber auch nostalgische Auseinandersetzung mit einer Szene, die gerade jetzt vor einem großen Wendepunkt zu stehen scheint, darf mit Recht als das Referenzwerk der schwarzen Szene betrachtet werden.