Vor knapp 18 Monaten kam ich zum ersten Mal in Kontakt mit „Beyond Obsession“, entgegen landläufiger Meinung eine der wenigen „neuen“ Bands, die in Deutschland noch mit mehr oder minder klassischem Synthpop reüssieren möchten. Wo beispielsweise in Russland diese Genre aktuell einen kleinen Höhenflug erlebt oder in Skandinavien die Quelle elektronisch untersetzter Melodien nie zu versiegen vermag, sah es in jüngster Zeit in hiesigen Längengeraden eher düster aus. Apropos „düster“: wer glaubt, Nils, André und Sören würden mit ihrem zweiten Album „Pieces of Machinery“ eher der dunklen Seite des Synthpops frönen, sieht sich gleich mit dem Opener getäuscht.

Doch bis wir darauf näher eingehen, sei der Hinweis gestattet, dass die vorliegende CD das erste Album einer fremden Band ist, welches DE/VISION auf ihrem eigenen Label „Popgefahr Records“ veröffentlichen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen gesteckt, schließlich erhält man bei Bestellung über den Popgefahr-Shop namens „Shopgefahr“ eine Rechnung vom DE/VISION-Sänger Steffen Keth höchstpersönlich - oder zumindest von seinem digitalen Alter Ego, der scheinbar für das Label hauptverantwortlich zeichnet. Nun also zum Opener „Run to you (Some call it love)“, auf dem Sänger Nils das Ziel verfolgt, binnen 4 Minuten sein gesamtes klangliches Spektrum zu demonstrieren. Dies klingt für ungeübte Ohren anfangs anstrengend, doch spätestens beim zweiten Durchlauf ist man dankbar, endlich mal wieder einer spannenden Stimme mit hohem Volumen und den nötigen Ecken und Kanten lauschen zu dürfen. Da sitzt sicherlich nicht jeder Ton perfekt, aber Nils überwindet mutig jede noch so unerreichbar scheinende Oktavenschranke und deckt auf diese Weise Andy Bell und Martin Gore in Personalunion ab - vor allem, wenn man das darauffolgende Black White Hearts (grandioses Songwriting!) zur Beurteilung hinzuzieht, das mit seiner industriellen Melancholie am Ehesten an DM Ende der späten Achtziger Jahre anknüpft.

Wahrscheinlich kriege ich von Depeche Mode-Fans für den Vergleich mit Martin Gore heftige Schläge - Erasure-Fans zählen hingegen gemeinhin zur sanfteren Sorte und drohen eher mit Worten („Noch so eine Aussage und ich hole meinen Depeche Mode-Freund, der schlägt dich dann!“). Egal, vor der heimischen Stereoanlage lebt es sich gemütlich und als Gewinner eines Gästelistenplatzes beim Beyond Obsession-Konzert Mitte April in Braunschweig darf ich ohnehin nichts Schlechtes schreiben. Könnte ich das denn? Kaum, denn die 42-minütige, kompakte Reise durch das komplette Spektrum des Synthpops bietet jede Menge professionell produzierte Abwechslung. Ken Porter liefert in diesem Segment hochwertige Arbeit ab, was sich insbesondere im detailreichen Soundbild offenbart. Über gute Kopfhörer können jene Facetten erschlossen werden, die im oft übersteuerten Bass-Brei der Konkurrenz häufig untergehen. Nils setzt seine Stimme als zusätzliches Instrument ein und trällert mal hymnenhaft („Love Child“), mal extrem radiotauglich, wie beim absoluten Ohrwurm „Unwinnable War“ oder in bester De/Vision-Tradition der Neunziger Jahre: „Washed Away“ hätte in dieser Form genauso gut auf dem „Unversed in Love“-Album vertreten sein können - beschwert hätte sich gewiss niemand.

Angesichts der gebotenen Vielfalt wird kaum ein Hörer jeden Song mögen, doch beklagen wir uns an dieser Stelle nicht oft genug über mangelnde Kreativität oder ein auf „Nummer sicher“ gehende Gesang, der lediglich stakkatoartig zum 4/4-Takt Allerweltsphrasen ins Mikro brummt? Beyond Obsession testen mit ihrem neuesten Werk bewusst die Grenzen des Genres aus, ohne dabei verstörend zu wirken und treue Fans zu vergraulen. Ein gelungener Einstand auf Popgefahr Records, die gerne weitere Künstler dieser Art fördern dürfen.