Einigermaßen überraschend ist es erschienen: ‘Death and flamingos’… und da das Projekt von Anna-Varney Cantodea immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben wird muss ich etwas ausholen.

Sopor Aeternus & the ensemble of shadows gewann ich persönlich vor nicht ganz 20 Jahren mehr als lieb, erst zaghaft mit dem damals aktuellen Album ‘Songs from the inverted womb’ und dann leidenschaftlich. Von da an durften es nur die Sondereditionen aller Neuerscheinungen sein und zug um zug holte ich mir auch die älteren Werke ins Haus. Die Diskographie ist gefüllt mit musikalischen Juwelen und herausragenden Gesamtpaketen. Für mich bleibt die Sonderedition der ‘La chambre d’echo’ state of art, wenn es darum geht, dem Fan etwas ganz Besonderes zu schenken (und ja, ich schreibe schenken, auch wenn die Editionen niemals kostengünstig waren). Ein handgebundener und wundervoll aufwendiger Fotoband, eingefaltet und versiegelt mit Wachssiegel, Postkarten, Grabschlaufe, Lesezeichen – eingebaut in einer wunderschönen Box. Unfassbar. Circa ab 2008 begann in meinen Augen die Qualität der Editionen etwas zu leiden, der Fotoband des sagenhaften Albums “Poetica” zumindest vom Bildmaterial her als deutlicher Lichtblick der letzten Jahre. Alles wirkte weniger handgemacht und persönlich, vielleicht aufgrund steigender Produktionskosten oder einer größer werdenden Zielgruppe. Der Wechsel zu Fantotal liegt mir deswegen auch eher schwer im Magen. Aber musikalisch konnte ich mich doch fast immer auf Anna-Varney verlassen und ganz klar kann ich zu jeder Veröffentlichung mindestens zwei Titel benennen, die ich nicht nur gut empfand, sondern bei denen ich Superlative verwenden möchte – bei einer solch ausufernden Diskographie eine hohe Leistung.

Dann erschien 2018 nach zäher Crowdfunding Phase ‘The spiral sacrifice’ und damals wie heute war dies die erste Veröffentlichung, an der ich kaum ein gutes Haar lassen kann – außer vielleicht, dass das Coverartwork des Fotobandes wirklich schick in der Vitrine ausschaut: Weder wirkten die Fotos annähernd aufwendig inszeniert wie zu früheren Zeiten (im Gegenteil wirkte das ganze wie eine fahrige Schnappschusssammlung einer kurzen Tanzeinlage), noch konnte das Album mehr als nur im Hintergrund dahinzuplätschern. Als nun also ‘Death and flamingos’ aus dem Nichts auftauchte war ich mehr als skeptisch. Die offizielle Homepage ist zu einem hübschen Produkt-Hinweis mutiert, Fantotal vermutet, dass Langzeitfans heimlich darauf gewartet haben, dass Anna-Varney Deathrock macht und schreibt deutlich: “This is fucking great”. Nein, ich warte nicht seit langer Zeit auf ein Deathrock Album von Anna, sondern ich hoffe auf ein Album, dass wieder so liebevoll komponiert wirkt wie zuletzt ‘Poetica’ (und mit Abstrichen ‘Mitternacht’). Ich orderte natürlich dennoch, wenn ich auch skeptisch schluckte, denn 29,99 Euro für eine CD im einfachen Digipack halte ich für einen stolzen Preis. Kann Sopor Aeternus also etwas mit E-Gitarre in der Hand? Kommen wir endlich zu den musikalischen Inhalten (und ich entschuldige mich für die epische Einleitung):

Ohne damit etwas über die Qualität der Lieder sagen zu möchten muss ich zunächst deutlich machen: Es spielt keine Rolle, dass nun eine E-Gitarre Verwendung findet. Punkt. Denn zum einen ist die Diskographie des Projektes geprägt von immer neuen Experimenten in der Instrumentierung und im Klang und zum anderen verändert sich ein Musikstil nicht wirklich nur durch das Einfügen eines weiteren Instrumentes: ‘Death and flamingos’ ist durch und durch Sopor Aeternus, musikalisch vor allem in der ‘Have you seen this ghost’ Phase verwurzelt und die E-Gitarre spielt in weiten Teilen eins zu eins Melodien, die sonst durch Elektronik oder Streicher/Bläser produziert worden wären. Drums, Restinstrumentierung, Geschwindigkeit, musikalisches Motiv: alles ist gleich geblieben. Das ist nicht toll oder schlimm, es soll aber deutlich machen, dass die Frage nicht lautet, ob Anna-Varney eine tolle Deathrockerin ist, sondern ob E-Gitarren Sounds sich harmonisch in den Klangkosmos einfügen… Und mjoar, größtenteils gelingt der Versuch, anders als aber die Elektronik, die den Klangkosmos der ‘La chambre d’echo’ deutlich beeinflusste nehme ich diese Neuerung eher als Randnotiz wahr.

Taugt das Album den musikalisch? Ich bin mehr als froh, zu vermelden, dass es kein uninspirierter Schnarcher wie ‘The spiral sacrifice’ geworden ist: 2 Intros, 10 richtige Songs und ein längeres Outro passt. Leider kann ich aber auch von keinem Aha-Erlebnis berichten. Alles nette bis gute Songs, “Spellbound”, “Mephistophilia” oder “Vor dem Tode träumen wir” im Besonderen gelungen. Ein wirklicher Ohrwurm ist für mich aber nicht enthalten. Nicht einer. Anna singt, jammert und schmachtet, alles ist beim Alten jedoch kann ich keine besondere Stimmung heraushören, kein musikalisches Motiv. ‘Death and flamingos’ ist wie Omas Früchtekuchen, den sie seit Jahren gleich macht. Nur dieses Mal hat sie etwas Zimt in die Sahne gemischt.

Das ist für mich als Fan mehr als unbedfriedigend, aber keinesfalls schlecht. Was aber wirklich nicht gut tut: als zweites eher maues Album bin ich als Langzeitfan wirklich angefressen vom überteuerten Digipack. Früher zahlte ich gerne 60 Euro für wundervolle Bilder, Gimmicks, Handarbeit, Liebe und tollem Inhalt. Nun habe ich 30 Euro ausgegeben für ein Digipack, dessen Artwork weit entfernt ist von gewohnten Mühen (ich möchte sogar unterstellen, dass das Foto bei der ‘The spiral sacrifice’ Session entstand) und in dessen Booklet sich nicht ein Bild befindet, nicht ein augenzwinkernder Bonus sondern nur die abgedruckten Texte auf schwarzen Grund. Oder wie es Fantotal vollmundig anpreisen:
•    CD in hardback book
•    Lined with linen texture paper
•    Additionally adorned with silver hot foil print
•    16-page booklet
•    Exquisite art print on high quality art paper
•    Perfectly finished with a special matt varnish
•    Black front and rear endpapers
•    Special CD tray made from paper printed black
•    Includes all album lyrics by Anna-Varney Cantodea

Klingt nach total toller heißer Luft, oder? Sogar alle Texte sind enthalten. Herausragend bei einem CD Booklet. Wenn ich das lese könnte ich kotzen... Sorry.

Manno, auf mich wirkt das Ganze wie eine Schnapsidee (“Probier mal mit Gitarre”) während der ‘The spiral sacrifice’ Aufnahmen, die fahrig und unüberlegt auf B-Seiten Material übertragen wurde und vorschnell unters Volk gehauen wurde. Ein wenig Wartezeit zwischen den VÖ Daten, dann merkt es keiner. Wenn es ein witziges Gimmick sein sollte: Danke, reicht. Ich hoffe, das Ganze ist der letzte Ausrutscher in einer Reihe von nach Abzocke riechender Fehlentscheidungen und ich möchte wirklich glauben, Anna-Varney ist nur an einen suboptimalen Manager geraten. Oder sie hat nichts damit zu tun und irgendein Soundmixer hat überschüssiges Material mit Gitarren gemischt. Nein, wohl ein Wunschtraum eines Langzeitfans, der nicht auf ein Deathrock Album wartete, sondern sich weigert, zu akzeptieren, dass ein musikalisches Idol gar stark nachgelassen hat und falsche Entscheidungen trifft.

 

Oh Anna, bitte, bitte warte ein paar Jahre, nimm dir Zeit und zeig mir dann noch einmal, dass du die eigentliche Königin des Gesamtpaketes bist, deren Boxeninhalte nur von der Buch-Gestaltung übertroffen werden, die dann von der Musik in den Schatten gestellt wird. Du kannst das noch. Oder?