‘There will be no intermission’ – Es wird keine Unterbrechungen geben.

Nackt, verletzlich und doch stark steht sie im Morgengrauen, das Schwert erhoben. Amanda Palmer hat schon immer ihr Privates nach außen gelebt, mit ihren Fans mehr geteilt als die meisten anderen Künstler und doch ist dieses neue Album, diese Abrechnung mit all dem Erlebten, dass sie bis in die Gegenwart verfolgt und ihre Gedanken zum Dasein als Frau noch eine Stufe mehr auf der Skala des Teilens und am Ende steht sie trotz absolut verwundbarer Kostümierung absolut unantastbar da… und begeistert.

Palmer ist so sehr Künstler, wie es in der modernen Zeit nur möglich sein kann, hat sich getrennt von Majorlabels und ihrem Einfluss auf die Kunst. Seit einigen Jahren finanziert sie sich direkt durch ihre Fans über Patreon und darf dadurch dem Wunsch eines jeden Herzblutkünstlers nachgeben: fast gänzlich schrankenlos experimentieren, offen sprechen, herausfordern und zweifelsfrei auch nicht anbiedern. Ihre bisherigen Alben als kommerziell und kantenlos zu bezeichnen wäre ein kleiner Affront, jedoch waren sowohl die Veröffentlichungen der Dolls als auch ihre ersten 2 ½ Soloalben fast Schonkost im Gegensatz zu diesem herausfordernden Werk: 10 Songs, nahezu ausschließlich überlange Songs, nur unterbrochen mit nach Textfragmenten benannten klassischen Interpretationen der Hauptthemen. Minimale Arrangements, Palmer und Piano oder Ukulele im Zentrum und dann, meist zum Ende der Titel hin orchestraler Bombast, der die Grundstimmung nur noch einsamer wirken lässt. Die Produktion ist zum Teil überraschend transparent, wenig schmeichelnd beim Verwenden von Effekten (wie dem Klirren von Glas) und dadurch um so versöhnlicher mit dem Einsatz von Streichern. Ist man dem Album verfallen, so fällt es schwer, besonders gelungene Nummern zu benennen: vielleicht „The ride“, „Drowning in the sound“ oder das wunderbar umgesetzte „Machete“. Jedoch sind alle Songs des Albums keine tanzbaren Nummern, es herrscht wenig Hitpotential, über Minuten geschieht musikalisch nicht viel (und doch um so mehr, wenn man genau hinhört) und die meisten Label würde dankend ablehnen. Doch Palmer kann es sich erlauben: die Fans gaben ihr Geld und sagten „Mach mal“ und sie machte. Und ich persönlich kann mich kaum satthören an Nummern wie „Bigger on the inside“: eine einfache, monoton sich wiederholende Ukulelenmelodie ist während über 8 Minuten Spielzeit eine echte Herausforderung und drum herum scheint im ersten Durchgang nicht wirklich viel passieren – und doch, jedes Instrument, jeder Zusatz wirkt wohlüberlegt und die sich aufbauende Dramatik ist mitreißend.

Textlich ist Palmer inzwischen deutlich direkter und reflektierter. Sie ist bereit, Themen ohne Augenzwinkern zu thematisieren. Sie ist im Kontakt mit ihren Fans, Teile der Texte (wie zum Beispiel „The rde“ oder „Voicemail for Jill“) entstanden auf Basis des Austausches mit ihnen oder auf Grundlage der Antworten auf spezielle Fragestellungen, die sie im Netz formulierte (Was sind deine Ängste? Was hättest du dir nach einer Abtreibung gewünscht?). Auf ‚There will be no intermission‘ wird harte Kost geboten, Unsicherheiten, Erfahrungen sexueller Übergriffigkeit, Abtreibung und Krebs. Und auch die Erfahrungen und Ängste als Mutter – Palmer ist verdammt authentisch. Sie zeigt sich in all ihrer Schwäche, in all ihren Fehlbarkeit menschlich, spricht die Hörer direkt im Herzen an und formuliert Emotionen praktisch spürbar auf einer sehr persönlichen Ebene für all jene, die sich einfühlen können oder auf ähnliche Erlebnisse zurückblicken. Aber auch auf gesellschaftlich-politischer Ebene, da aufzeigt, was „Leben“ ist und was „System“. Das macht sie in gewisser weise unentbehrlich in dieser Zeit – das gilt sicherlich verstärkt für ihr Herkunftsland Amerika, aber machen wir uns nichts vor: mit einer erschreckend wertkonservativen Krampf-Karrenunterstützerin in den Startlöchern zur Machtübernahme kann man nur froh sein über jeden Künstler, der nicht nur verdammt vorhersehbar provoziert (ein Hallo den Herren von Rammstein und all die Kollegah’), sondern wirklich weh tut.

Ist ‚There will be no intermission‘ nun ein gutes Album? Es ist musikalisch das am wenigsten schmeichelnde Werk ihrer Karriere und kein easy listening. Dresden Dolls Fans, die die bisherigen Soloveröffentlichungen gut tragen konnten, werden eventuell an ihre Grenzen gelangen und sicherlich verhindert nur ein gehöriges Maß an Aufmerksamkeit beim Lauschen und das Verfolgen oder Mitlesen der Texte, dass man nicht mit dem Fazit ‚Langweilig‘ verbleibt. Ich halte ‚There will be no intermission‘ für das beste oder schwächste Album ihrer Karriere und bin voll und ganz glücklich mit der Entwicklung und dem Ergebnis Palmers bisheriger Reise. Ja, ich bin eher Musik- als Textmensch und hab immer heimlich den Wunsch, mal wieder einen Kracher der Marke „Good day“, „Sex changes“ oder „Nessecary evil“ vorgesetzt zu bekommen. Andererseits würde ich dann fehlende Entwicklung bemängeln, es wäre nicht der gleiche Kick wie in den ersten Jahren und … und das ist ganz wichtig … dieses Album würde fehlen. Und es ist wichtig, aufrüttelnd und anrührend. Nehmt euch die Zeit.